Originaltitel: TÓTEM
Mexiko/DK/F 2023, 95 min
FSK 6
Verleih: Piffl
Genre: Drama
Darsteller: Naima Senties, Montserrat Maranon, Marisol Gase
Regie: Lila Aviles
Kinostart: 09.11.23
Wie unerbittlich ein Leben zu Ende gehen kann. Und wie unerbittlich es – das Leben eben – dann dennoch einfach weiter- und weitergeht: Toniatuh ist noch jung. Und er wird bald sterben. Krebs im Endstadium. Das Leiden, der Schmerz, das Siechtum halten Toniatuh fest im Griff. Doch noch lebt er – und hat Geburtstag. Es wird wohl sein letzter sein, aber gefeiert werden soll auch der noch. Oder gerade der. Also hat Toniatuhs Familie viele Verwandte und Freunde eingeladen. In das kleine Haus samt kleinem Garten; ins bescheidene Familienrefugium, das gleichwohl für Toniatuhs 7jährige Tochter Sol ein verwinkelter, labyrinthischer Ort der Geheimnisse, eine spiritistische Zwischenwelt ist, in der kaum spürbare, gleichwohl präsente Geister nur darauf zu warten scheinen, daß Sols todkranker Vater endlich zu ihnen in diese ihre Welt hinüberwechselt.
Es ist dieses Kind, um das herum Regisseurin Lila Avilés ihr Gruppenbild mit Sterbendem komponiert hat. Und Komposition ist hier sehr wörtlich, sehr ernst zu nehmen: Denn so improvisiert, so abrupt schlaglichtartig manche Szenenfolgen sind, so quasi-dokumentarisch das Beobachten der Geschehnisse in kleinen Brennweiten und im 4:3-Bildformat zu sein vorgibt, so durchdacht ist es doch zugleich. Weil es der Handlung Realismus gibt und ihre Emotionalität, wenn auch nicht immer erfolgreich, vor Sentimentalität, vor Gefühligkeit schützt. Und weil in diesem Realismus – also in der Wirklichkeit – zugleich etwas Unwirkliches eingewoben sein muß, das ähnlich der dezent surrealistischen Einsprengsel im Bildfluß die menschliche Wahrnehmung oft übersteigt.
Was das ist – Sol sieht und weiß es vielleicht. Nur sagt sie es nicht. Inmitten der Menschen in all ihrer auch um Verdrängung bemühten Betriebsamkeit ist sie die Einzige, die ruhig bleibt, sich dem Gewusel, diesem unerbittlichen Weitergehen des Lebens entzieht. Die gezielt die Nähe des Vaters sucht, sich dem Unvermeidlichen aussetzt, das Unbegreifliche begreifen will. Am Ende von TÓTEM blickt Sol lange und stumm in die Kamera, ergo in unsere Augen. Ein in seiner Einfachheit hypnotischer Kinomoment. Was Sol sieht, wenn sie so zu uns hinsieht? Man kann es nur ahnen.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.