Originaltitel: TOUCH ME NOT
Rumänien/D/Tschechische Republik/Bulgarien/F 2018, 125 min
FSK 16
Verleih: Alamode
Genre: Mockumentary, Experimentalfilm, Erotik
Darsteller: Laura Benson, Tómas Lemarquis, Christian Bayerlein, Grit Uhlemann, Hanna Hofmann
Regie: Adina Pintilie
Kinostart: 01.11.18
Als TOUCH ME NOT den Goldenen Bären gewann, wurde ein Werk geehrt, das Festivalbesucher in Scharen verlassen hatten. Von „Schockentscheidung“ und Schlimmerem war im rauschenden Blätterwald zu lesen. Sorry: Quatsch! Ein Versuch der Annäherung.
Und Protokoll dessen Scheiterns, weil man jenen filmischen Akt nötiger Unerschrockenheit weder mit gängigen Maßstäben mißt noch schnöden Worten erfaßt, er will erlebt sein, gefühlt, manchmal weggestoßen, oft ans Herz gedrückt. Obwohl sich vieles drei Stufen tiefer abspielt, bereits im Prolog die Kamera einen männlichen Körper liebkost, dem ihn besitzenden Callboy zuschaut: duschen, wenig Smalltalk, Masturbation. Vor Laura, circa 50, asexuell. Laura beobachtet den jungen Burschen und wird dabei von einer Regisseurin beobachtet, welche wiederum wir beobachten. Dokumentation? Fiktion? Die Grenzen schwimmen.
Laura taumelt voran, lernt Christian kennen, schwerstbehindert. Ein Mensch, der nicht ohne fremde Hilfe den Mund abwischen kann, empfindet seinen bewegungsunfähigen Leib als Geschenk und nennt sich selbst attraktiv. Lebt in Sexclubs seine Lust aus. Spätestens jetzt bohrt Ungemütlichkeit, der gesellschaftlich zugestandene Normalitätsbegriff hat endlich jedes eh nie vorhandene Existenzrecht verloren. Und TOUCH ME NOT legt nach: Freundin Grit fühlt Sicherheit in Christians Armen – die er nicht zu bewegen imstande ist. Pervers? Flüchten Sie bitte möglichst leise aus dem Saal, wir wünschen erfolgreiche anschließende Ereiferung.
Oder verharren Sie lange genug, um an Lauras Besuch eines Sexualtherapeuten zu partizipieren? Er packt ihre Handgelenke – und Laura schreit. Animalisch, schrecklich. Wir ertragen, wie eine Frau mittleren Alters das eigene Sein zerstört, in ihre emotionalen Einzelteile zersplittert, um danach das Stückwerk erneut zusammenzusetzen, es muß weitergehen, irgendwie, vielleicht sogar besser, ein winziges bißchen. Intensität, zu Tränen rührend, stellvertretend vergossen für Laura. Sie scheint längst vertrocknet. Ein leeres, löchriges Gefäß.
Journalistenkollegen monierten teils die Darstellung von „Sex als sprödem Akt ohne Erotik.“ Korrekt, hier erregt nichts, Penetration findet zwar ständig statt, allerdings dringen wir in Seelen, fahren unter auffällig tätowierte Haut, die so innere Bilder veräußerlicht, passenderweise nach vorheriger Verletzung unseres größten Organs. Schmerz als Schlüsselwort: Man versteckt und quält das ungeliebte, wahre Ich; egal, ob die gezeichnete, doch nicht gebrochene Transfrau Hanna oder jemand, dem Mutters Dirigat die rechten Töne raubte. Wir erfahren, wie „aus dem hübschen Jungen der sonderbare wurde“, sehen kleine Öffnungen Extremverschlossener und regieseitig höchsten Respekt: Jeder geht, so weit er vermag und es erlaubt. Explizit bebildernder Voyeurismus bleibt gezielte Ausnahme.
Total lächerlich schließlich über „Distanzlosigkeit“ maulende Vorwürfe. Natürlich verbieten solche Themen jegliche Distanz, das Gesamtkunstwerk TOUCH ME NOT wühlt in Wunden, reißt auch vor der Leinwand vernarbt Geglaubtes auf, konfrontiert und tut letztlich richtig, ja, geradezu saumäßig weh. Es bedarf des aktiven Willens, dies auszuhalten, gleichsam, wie eine mindestens doppelbödige Aufforderung es erwünscht, das „sie“ durch „ich“ zu ersetzen. Keine leicht erfüllbare Bitte, aber bestenfalls eine individuelle Befreiung. Denn, im Gegensatz zum notorisch zensierten Alltagsleben: „Jedes Gefühl ist hier willkommen.“
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...