Töne kann man sehen, Klänge kann man berühren - Willkommen im Universum von Evelyn Glennie! Was sie in Kindheitstagen an Gehör verloren hat, kompensiert sie mit ihrem eigenen Körper als Resonanzraum. Sie spürt Geräusche und Klangwellen. Als Perkussionistin ist sie auf der ganzen Welt unterwegs und nimmt zur Zeit des Films TOUCH THE SOUND ihre erste improvisierte CD auf, gemeinsam mit dem deutschen Improvisationsgenie Fred Frith. Diese Begegnung in einer alten Dormagener Industriehalle wird zum Kernstück der Dokumentation über das musikalische Schaffen der Britin.
In aufschlußreichen, zum Teil sehr intimen und abschweifenden Interviewsplittern gibt sie Auskunft über ihre Gedankenwelt, ihre Musik und über Wahrnehmung. Zudem erleben wir sie bei verschiedenen Auftritten und Aktionen weltweit. Ob sie nun in einer schottischen Festung dem Rauschen von Wind und Meer auf der Spur ist, oder sich in Tokio auf Plastikgeschirr und Taiko-Trommeln austobt - Neugier und Verwirrung halten sich die Waage, wenn man die rastlose Musikerin beobachtet, ihr lauscht.
Nach gängigen Kriterien ist Evelyn Glennie zu 80 Prozent taub. Undenkbar, daß sie Musik macht. Oder nicht? Das ist nur eine der genialen Leistungen dieses Films, derartige Fragen mit Leichtigkeit abzuwenden und sich voll und ganz auf das faszinierende Schaffen der Künstlerin einzulassen. Noch ehe man als Zuschauer so richtig das WIE begriffen hat, wirkt schon längst der Sog von Riedelsheimers Ausnahmefilm. Er entlockt der Kamera berauschende Bilder, die er einmal dokumentarisch einsetzt, ein anderes Mal zur Illustration von Glennies’ Klanggebilden nutzt. Der assoziative und äußerst organische Rhythmus seiner Montage verknüpft meisterlich Schauplätze auf der ganzen Welt zu einem großen Klangraum.
Nach dem ebenfalls ungewöhnlichen Künstlerporträt RIVERS AND TIDES dürfte vor allem die zugänglichere Thematik - Musik, Rhythmen, Wahrnehmung - großes Interesse für Riedelsheimers neue Dokumentation wecken. Es lohnt sich für das Publikum. "A Sound Journey with Evelyn Glennie" lautet der Slogan. Viel tiefer kann man kaum stapeln - diese Reise führt um die Welt und in unser Inneres. Einmalig.
Originaltitel: TOUCH THE SOUND
D/GB 2004, 99 min
Verleih: Piffl Medien
Genre: Dokumentation, Musik
Darsteller: Evelyn Glennie
Regie: Thomas Riedelsheimer
Kinostart: 04.11.04
[ Roman Klink ]