D/F 2018, 101 min
FSK 12
Verleih: Piffl

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Franz Rogowski, Paula Beer, Barbara Auer, Matthias Brandt

Regie: Christian Petzold

Kinostart: 05.04.18

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Transit

Papiergespenster, literarische Geister – Wie ein Flüchtlingsdrama in die/der Gegenwart spukt

Vom Kino wollen wir Geist. Aber auch Geister? In den Filmen von Christian Petzold gibt es von beidem reichlich: einander überlagernd, sich wechselseitig begründend. Die meisten seiner Arbeiten führen in Transitgebiete, zu Neu- und Andersanfängen, in Identitäten, die einem nicht zufallen, sondern zugemutet werden – von den Zeiten, von gesellschaftlichen Realitäten und allem, was an Alltag und Weltpolitik dazwischenliegt. Wenn man so will, ist er der Ghostbuster unter den deutschen Autorenfilmern und TRANSIT eine Art vorläufige Werkbilanz. Sie zeigt, welche poetische Irritationskraft das spukende Kino Petzolds hat – auch in der Auseinandersetzung mit einem literarischen Geist.

Anna Seghers’ Roman „Transit“, zwischen 1941 und 1942 auf der Flucht nach Mexiko geschrieben, ist ein verwegen konstruiertes Exildokument, das die eigene Glaubwürdigkeit zur Disposition stellt. „Alle Einzelheiten stimmten. Was machte es aus, daß das Ganze nicht stimmte?“, heißt es dort. Diese Worte nimmt Petzold mit und macht sich an die Arbeit mit dem Geist der historischen Zeit: mit den Exilanten, die von den Nazis an die Ränder des Heimatkontinents getrieben wurden, wo sie hofften, ein Schiff ins sichere Egalwo zu erreichen. Mit der existentiellen Erfahrung, nur noch aus Ausweichinstinkten zu bestehen, auf nichts vertrauen zu können und nirgends vertraut zu sein. Und dann macht Petzold einen Film, der nicht von einer Welt aus den Fugen erzählt, sondern die Zeit selbst aus den Fugen hebt.

Seine Hauptfigur hat Zuflucht in Paris gefunden. Die deutschen Truppen rücken näher. Doch Georg ist jung und gewieft genug, um Gelegenheiten beim Schopf zu ergreifen. Warum also nicht noch schnell für ein Taschengeld einen Brief überbringen? Aber der Schriftsteller Weidel, dem er zugedacht ist, hat sich um- und die Hotelbesitzerin in Verlegenheit gebracht – mit einer blutigen Sauerei und einem Haufen von Papieren, die die aufgelöste Dame loswerden will. Georg nimmt den Nachlaß an sich: ein Romanfragment, persönliche Dokumente und – dem Zupackenden hilft der Zufall – die schriftliche Zusicherung eines Visums für Mexiko. Nun weiter nach Marseille. Der mitgeschleppte Freund Heinz erliegt noch im gekaperten Güterwaggon seinen Verletzungen. Am Zielort angekommen, sind die Übriggebliebenen zu trösten: die Witwe von Heinz und dessen kleiner Sohn, die Frau von Weidel und ihr schlechtes Gewissen, schließlich Georg selbst, der sein Herz an die untreue Schriftstellergattin verliert. Nun weiter zur mexikanischen Botschaft, die diesem aus Papieren wiederauferstandenen Herrn Weidel über den Atlantik helfen soll.

Graffitis an Hauswänden, auf den Straßen Mittelklassewagen, denen ihre Heutigkeit anzusehen ist –die Ausfallerscheinungen in der historischen Verläßlichkeit mehren sich. Es dauert, bis man seinen Augen und Petzolds Filmwelt traut. Denn die ist gespenstisch. Ein Bilder- und Erzählteppich mit Löchern, durch die sich alte und neue Flüchtlinge zu betrachten scheinen, durch die man sich Visaanträge zureichen und Aufenthaltsgenehmigungen ausstellen könnte – wenn man wollte. Der Krieg, der hier tobt, ist einer der Papiere. Die Gespenster, die hier umgehen, sind Leute, die keine haben. Und der Filmemacher, der das zeigt, schlägt alle naheliegenden Fluchtwege aus und kommt doch ans Ziel: politische Prosa in schwebenden Versen. Oder umgekehrt. Und gereimt.

[ Sylvia Görke ]