D 2017, 90 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber
Genre: Dokumentation
Regie: Martin Farkas
Kinostart: 22.03.18
Demmin ist eine unscheinbare Kleinstadt im tiefsten Mecklenburg-Vorpommern. Viel Wasser, viel wunderschöne Landschaft liegen drum herum, doch davon abgesehen, ist dort kaum etwas los. „Die Stadt ist tot, die jungen Leute gehen alle weg!“, konstantiert denn auch nüchtern einer der Protagonisten. So weit, so gewöhnlich. Die ungünstige Kombination aus abseitiger Lage, Arbeitslosigkeit, Abwanderung kommt im Osten schließlich häufig vor. Doch an Demmin ist darüber hinaus eine besondere Tragik geknüpft.
In den letzten Kriegstagen kam es dort zu einem beispiellosen Massensuizid. Die Angaben schwanken zwischen 500 und 1000 Menschen, die sich damals umbrachten. Es waren vor allem Frauen und Kinder, die ihrem Leben ein Ende setzten. Die meisten ertränkten sich. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich bereits die russische Armee in der Stadt auf, die abziehende Wehrmacht hatte die Brücken gesprengt, niemandem gelang es mehr raus aus der oder rein in die Stadt. Es kam zu Brandschatzungen und Vergewaltigungen. Die jahrelange Indoktrination der nationalsozialistischen Propaganda tat ihr übriges dazu, die Menschen in Panik zu versetzen.
Die Erzählungen der Zeitzeugen über diese schrecklichen Ereignisse sind nur schwer auszuhalten. Sie waren damals alle noch Kinder. Die DDR deckte dann den Mantel des Schweigens über die Tragödie, sie paßte nicht ins offizielle Geschichtsbild. In diese Lücke stießen nach der Wende die Neonazis. Seit Jahren halten sie jeweils am 8. Mai einen Trauermarsch in Demmin ab und instrumentalisieren so die Geschehnisse im Sinne ihrer Politik.
ÜBER LEBEN IN DEMMIN zeigt, wie sehr die Schatten der Vergangenheit unsere Gegenwart beeinflussen. Regisseur Martin Farkas, der sonst vor allem als Kameramann arbeitet, läßt neben Zeitzeugen auch junge Leute zu Wort kommen, von denen einige den Rechten durchaus nahestehen. Man sei neutral, schließlich müsse man mit allen auskommen, ist öfter zu hören, wenn die Demminer nach ihrer politischen Einstellung befragt werden. Das offenbart eine ganz eigene Tragik angesichts der Vergangenheit ihrer Stadt, aber auch die Schwierigkeit, im kleinstädtischen Kontext eine eindeutige Position zu beziehen. Nicht umsonst werden die Namen der Gesprächspartner erst im Abspann eingeblendet. In der Anonymität äußert es sich leichter.
[ Dörthe Gromes ]