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Umsonst

Berlin, fremde Heimat

Auch ohne die einleitenden Worte hätte man’s bereits geahnt: Einige der besten Filme denken sich nichts aus, schließlich ist alles da, Hinschauen heißt die Devise, welcher die vorliegende Geschichte treu folgt.

Sie beobachtet Aziza, ein Mädchen um die 20, eben wieder aus Portugal in Berlin angekommen, nach dem frustrierten Abbruch eines Praktikums beim Vater. Mutter Trixis Begeisterung darüber scheint eher gezügelt, wir werden erfahren, wieso: Mit nunmehr 40 wollte sie endlich frei sein, das eigene Leben planen können! Aziza ist wiederum schwer genervt und pendelt recht ziellos durch die Stadt, welche kaum mehr ihre zu sein scheint. All’ die hippen Typen, das coole Gelaber, der hektische Umgang gehen unserer Heimgekehrten plötzlich – Überraschung – auf den Senkel.

Eine präzise abbildende Kamera schaut nun einfach zu, was passiert und den improvisierenden Darstellern einfällt. Grundsätzlich scheint das, gemessen an regulären Sehgewohnheiten, relativ wenig, doch mal ganz offen: lieber zurückgenommen nah dran, als verschwurbelt aufgeblasenes Problemkino! Tatsächlich macht kein Beteiligter aus dieser Großstadt-Rastlosigkeit mit Kilometergeldkasse verkopftes Zeigefingerwedeln oder entleerte Abstraktionen der Gegenwart zum betroffenen Weiterdenken beim lebensspendenden Prosecco nach dem Bis-zu-Ende-Abgesessen. Definitiv auch ein besonderer Verdienst der Entdeckung Céci Chuh: Wie sie jener Aziza Leben einhaucht, Verlorenheit, Auflehnung und pißnelkige Zicken-Attitüde verbindet, gemahnt geradezu an eine junge Bette Davis. Die Szenen zwischen Aziza und Trixi geraten zwangsläufig zu grandiosen Momenten, auf den Punkt gebrachte unterdrückte Konflikte schwelen hier ebenso wie trotz allem vergluckte Liebe.

Ein weiterer Kniff zeigt sich schließlich am Schluß: Jetzt geht gar nichts mehr, Authentizität stößt naturgemäß irgendwann an ihre Grenzen, man kann den Figuren unmöglich enger auf den metaphorischen Pelz rücken, selbst wenn sie zwischendrin das Wort ans Publikum richten. Ende der Fahnenstange. Risiko, es zu verderben. So hämmert aus heiterem Himmel ein Spalt durch die Sache, Fiktion und nominelle Wirklichkeit verwirbeln, sind einander ergänzende Teile des großen Ganzen. Daß ausgerechnet jener so sehr auf real getrimmte Schlußakkord deutlich filmischer, ergo inszenierter, wirkt, spricht erneut für das, was vorher (nicht) geschah.

D 2014, 93 min
Verleih: BBooksz AV

Genre: Drama, Erwachsenwerden, Experimentalfilm

Darsteller: Céci Chuh, Elliot McKee, Vivian Daniel, Seyneb Saleh, Imri Kahn

Stab:
Regie: Stephan Geene
Drehbuch: Stephan Geene

Kinostart: 10.07.14

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...