Ein Auto fährt durch den Nordosten Thailands. Der Mann am Steuer schweigt. Die Frau auf der Rückbank läßt gedankenversunken den Blick über die Landschaft schweifen. Das Ziel der Reise ist ein einsames Haus. Ein Bett wird für den Mann hergerichtet, der wegen seines Nierenleidens hier seine letzten Tage verbringen will. Wir begleiten ihn aufs Feld. Und wir sind dabei, wenn er auf seinem Bett verarztet wird.
Wie ein Dokumentarfilm kommen diese Szenen daher, die in ruhigen Einstellungen und wunderschönen Polaroid-Farben gedreht sind. Die Kamera hält Distanz, als ob sie das Beobachtete nicht stören will. Tatsächlich besteht das Ensemble zu großen Teilen aus Laien. Und schnell fühlt man sich an die Figuren aus den Filmen Bressons erinnert, die sich auch immer etwas steif durch die Handlung bewegten, aber ihre ganz eigene, natürliche Sprache hatten. Aber das ist nur eine Seite des Films. Thematisch geht es Apichatpong Weerasethakul um die Wiedergeburt, das Nebeneinander von Lebenden und Toten. Letztere tauchen dann schon mal beim Abendessen auf der Veranda auf und schauen mit dem lebendigen Rest der Familie alte Fotos an. Doch was dem einen oder anderen Westeuropäer ein Schmunzeln entlocken könnte, ist in Thailand tief verwurzelter Glaube an ein Leben nach dem Tod.
Und das große Glück des Films ist es, daß er diesen natürlichen Umgang mit den Geistern auch auf die Darstellung umlegt. Da wird mit einfachen Überblendungen oder Fellkostümen gearbeitet, was in Zeiten des 3D-Wahns ein Hochgenuß ist und dem erfahrenen Zuschauer die längst vergangenen Tage des großen Kinos in Erinnerung ruft. Die Schlußsequenz aus Fellinis 8 1/2 zum Beispiel. Dennoch muß man sagen, daß die Dialoge oft erklärerisch wirken und der Versuch, politische Unruhen des Landes mit einzubeziehen, sich nicht nahtlos einfügt.
Am Ende bleiben aber doch die starken Bilder im Kopf, die Atmosphäre und die emotionalen Momente. Wie der, in dem der todkranke Mann Besuch von seiner verstorbenen Frau bekommt, und die beiden über seine Angst vor dem Tod sprechen. Der Film läßt den beiden die Zeit und den Raum, die ein solches Gespräch braucht. Das sollten wir als Zuschauer dem Film auch zugestehen.
Originaltitel: LOONG BOONMEE RALEUK CHAAT
Thailand/GB/D/F 2010, 113 min
Verleih: Movienet
Genre: Drama
Darsteller: Thanapat Saisaymar, Jenjira Pongpas, Sakda Kaewbuadee
Stab:
Regie: Apichatpong Weerasethakul
Drehbuch: Apichatpong Weerasethakul
Kinostart: 16.12.10
[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...