„Entdeckung“ Amerikas? „Eroberung“ des Paradieses? Die Geschichte der Unterwerfung eines Kontinents im Namen des Herrn ist auch eine Geschichte der Euphemismen. Aber die Europäer haben dazugelernt: Ins geschundene Paradies Südamerika kommt man heute nur noch mit den besten Absichten. Oder?
Dieses unscheinbare Wort läßt sich die madrilenische Regisseurin Icíar Bollaín nun genüßlich über die Zunge rollen – und erschmeckt dabei allerhand Bitterstoffe im süßlichen europäischen Selbstkritikdiskurs über das historische Kapitalverbrechen. Nach einem Drehbuch von Paul Laverty, eigentlich Hausautor von Ken Loach, schickt Bollaín einen – freilich fiktiven – spanischen Regiekollegen und dessen Produzenten Costa nach Bolivien und gleichzeitig an die Grenzen ihrer aufgeklärten Überzeugungen. Sebastián heißt der glühende Idealist, der hier sein Opus Magnum inszenieren will: einen kritischen Film über Kolumbus, gedreht mit „echten“ Indígenas und fast ohne Budget. Doch der einheimische Hauptdarsteller Daniel, ein Laienwunder mit markanten Zügen und authentischer Wut, torpediert das ehrgeizige Projekt, indem er – ganz unprofessionell – gegen die lokalen Machthaber anrennt. Sich das immerhin gebuchte, also rechtsverbindlich gemietete Gesicht von der Polizei zerschlagen läßt. Mitten in der Drehzeit. Unentschuldigt.
Nein, mit dem Wasserkrieg von Cochabamba hatten die spanischen Filmleute nicht gerechnet. Aber in Bollaíns vielschichtigem Filmabenteuerfilm, in ihrer Verhältnisgleichung von Kunstwollen und Überlebenmüssen, liefert er den Hintergrund für einen mithin hintergründig zu nennenden Zusammenstoß: Fiktion und Realität berühren einander unsittlich, der europäische Traum vom präkolumbischen Exoten hat einen Auffahrunfall mit den Zwängen des postkolumbischen Alltags. Doch mögen auch die moralischen Verletzungen erheblich und die Ähnlichkeiten zu lebenden Filmkünstlern rein zufällig sein: Ästhetische Kollateralschäden gibt es nicht.
Artifiziell Komponiertes und dokumentarisch Direktes, Film im Film, Film über den Film, Film über die Filmverhinderung – nahtlos und überzeugend greifen hier disparate Gestaltungskonzepte ineinander. Und wie sich die Bilder plötzlich gleichen: das Casting, die Sklavenbegutachtung, die Besatzerwillkür, der Polizeiterror, Kostümproben im Hotelgarten, Machtproben mit ungleichen Waffen …
Originaltitel: TAMBIÉN LA LLUVIA
Mexiko/Spanien/F 2010, 104 min
FSK 12
Verleih: Piffl
Genre: Drama
Darsteller: Gael García Bernal, Luis Tosar, Juan Carlos Aduviri, Karra Elejalde
Regie: Icíar Bollaín
Kinostart: 29.12.11
[ Sylvia Görke ]