D/F 2020, 111 min
FSK 12
Verleih: Alamode
Genre: Drama
Darsteller: Mala Emde, Noah Saavedra, Tonio Schneider, Andreas Lust
Regie: Julia von Heinz
Kinostart: 29.10.20
Stellen wir uns kurz gutbürgerliche, gern auch hipster-liberale Eltern vor. Zusammen sitzen sie mit ihrem flügge werdenden Nachwuchs an ausgewählt gefüllten Frühstückstischen. Dabei fällt dem einen oder anderen Erziehungsberechtigten auf, daß es die Kinder ziemlich ernst meinen, wenn sie über ihren Kampf für das Klima und gegen Rechtsruck, Fremdenhaß und Polizeistaat reden. Ein Déjà-vu? Vielleicht findet das Gespräch deshalb auch gar nicht erst statt.
So wie bei Luisa. Sie zieht ohne große familiäre Revolution vom mondän-muffigen Landsitz ihrer Eltern ins anders, aber trotzdem muffige, besetzte Haus. Gerade hat sie angefangen, Jura zu studieren, am Wochenende geht es ab und an noch mit der Familie zur Jagd. Da deklamiert der Vater: „Wer mit unter 30 nicht links ist, hat kein Herz. Wer es mit über 30 noch ist, keinen Verstand.“ Die Mutter gibt ihr die ausrangierten Markenklamotten „für Eure Flüchtlinge“ mit. Aber Luisa will wirklich etwas ändern. Schon bei der ersten Farbbeutelaktion auf einer Anti-AfD-Demo kommt ihr das Handy eines szenebekannten Rechten in die Finger. Auch als der sie niederschlägt, rückt sie es nicht mehr heraus.
Julia von Heinz hält sich in ihrem stark besetzten Antifa-Drama, mit dem sie auf den Filmfestspielen in Venedig erfolgreich Premiere feierte, nicht lange bei der Sinnsuche ihrer Heldin auf. Das kann man schwierig finden, weil man ihr vielleicht die intrinsische Motivation nicht abkauft. Aber das liegt eben auch daran, daß man selbst zu satt ist. Jedenfalls radikalisiert sich die junge Frau trotz oder auch gerade wegen ihres sonst so bequemen Lebens. Alles, was sie bei den Demos und in ihrem Umfeld beobachtet und erlebt, führt ziemlich bald zu der Erkenntnis, daß friedlicher Widerstand nicht reicht, will man rechtem Haß wirkungsvoll begegnen. Heinz ist dabei offen parteiisch. Und es gibt sie, die autobiographischen Bezüge der Regisseurin, die selbst in ihrer Jugend in der Antifa aktiv war.
Es drängt sich gerade hier in Leipzig auf, in der Szene nachhaken zu wollen, ob dieser Film eine Gesprächsgrundlage bieten kann. Auch für die, die erzählt werden sollen. Findet sich beispielsweise auch der Osten wieder? Was erzählt die Dreiecksgeschichte zwischen Alfa, Lenor und Luisa über Sex, Alphamännchen und Entscheidungsgewalt im linken Kontext? Alles spannende Fragen, die zumindest an den oben erwähnten Frühstückstischen wieder aktiv diskutiert werden sollten. Falls der Antifa selbst das Ganze eventuell doch zu sehr „Kuschelrock“ ist.
[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...