Für Pointen haben die beiden Regisseure Ringo Rösener und Markus Stein von Beginn an ein Gespür: „Alter hilfloser Mann im Garten“ lassen sie einen ihrer Protagonisten in einem Mix aus Pathos und Selbstironie verlauten. Ein anderer Gesprächspartner versteht das erste Schweigen im Gespräch bereits als Sackgasse, als gäbe es nichts mehr zu erzählen. Daß dem so nicht ist, entblättert sich in den nächsten anderthalb Stunden, und daß dieser Auftakt zum einen witzig und als Einstieg in so viele Leben doch durchdacht gewählt ist, zeigt sich im Fortlauf, wenn insgesamt sechs Männer zu Wort kommen, um über ihr teils schwieriges, heimliches, verbogenes und doch auch vielfältiges schwules Leben in der DDR zu berichten.
Von einem Lebensgefühl soll in diesem Porträtfilm also erzählt werden, mit dem Autor und Ko-Regisseur Ringo Rösener ein durchaus gelungenes Debüt abliefert, das vor allem von seinen interessanten Gesprächspartnern profitiert. Zu Wort kommen Akademiker und Künstler, einmal mehr der bekannte Szenefriseur Frank Schäfer sowie der DDR-Anecker Eduard Stapel, dem man einst die Ordination zum Pastor verweigerte, woran er aktuell auch finanziell leidet. Sie alle erzählen von den Schwierigkeiten des Herauskommens, der Heimlichtuerei auf den einschlägigen Klappen, aber auch von den Überraschungen in der Provinz. Aufgeräumt wird mit dem ewigen Klischee, daß schwules Leben in der DDR geradezu paradiesisch war, deutlich wird, daß es kein „So lief es“-Schema gibt.
Rösener findet neben witzigen Pointen auch immer wieder passende Formspiele, wie das auf den Pedalspuren von Philip, dem schwulen Lehrer aus COMING OUT. Die Geschichte der Männer wird vom noch recht jungen Regisseur am eigenen schwulen Erwachen aufgeperlt, er wagt den Vergleich von gestern und heute. Eine auf jeden Fall interessante Herangehensweise, die aus dem Schatten des Versteckspiels ins stroboskopische Licht der Clubs führt, und die wie nebenher die Rechthaberei, wer wann wie freier oder emanzipierter war oder ist, sympathisch offen im Raum stehen läßt. Daß da bisweilen etwas zu auffällig unwissend gefragt wird („Was ist denn eine Klappe?“) – geschenkt, vorwerfen ließe sich auch, daß immer dann nicht weitererzählt wird, wenn es gerade richtig spannend in den Biographien wird. Aber: Man kann dies auch als bewußtes Mittel sehen, was seinen Reiz darin entfaltet, daß man die interessanten Figuren mit „nach Hause“ nimmt, ihre Lebensgeschichten nachhallen läßt, denn das tun sie wahrlich.
Zum Beispiel die vom Glasbläser John. Mitten in der thüringischen Provinz, wo jeder jeden kennt, versteckt der Junge lange seine sexuelle Bestimmung. Eines Tages traut er sich – mit tollen Erfahrungen und auch mit bitteren. Zu letzteren gehört ein Satz aus dem Mund seiner Mutter, an den zu denken, treibt ihm noch heute die Tränen in die Augen. Da tappt der Fragensteller Rösener leider in die Falle: Er hätte schweigen müssen, denn das Publikum weiß ja längst, den Satz würde John nicht aussprechen. Dafür beschenkt Rösener ihn dann mit einem Auftritt stolzer Grandezza – mitten durch die Fachwerkpiefigkeit in Johns Heimat Lauscha.
D 2012, 91 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber
Genre: Schwul-Lesbisch, Dokumentation
Regie: Ringo Rösener, Markus Stein
Kinostart: 26.04.12
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.