Originaltitel: UTØYA 22 JULI
Norwegen 2017, 94 min
FSK 12
Verleih: Weltkino
Genre: Drama
Darsteller: Andrea Berntzen, Aleksander Holmen, Brede Frista
Regie: Erik Poppe
Kinostart: 20.09.18
Wenn man einem Film attestiert, wichtig zu sein, wenden sich nicht Wenige ab. Die allzu bequeme Angst vor Belehrung, Gewissensappell und Moralisieren geht dann wieder um – und ist nirgends unangebrachter als bei der Rezeption dieses Films. UTØYA 22. JULI ist wichtig, weil er wider das Vergessen ist, weil er den Fokus vom noch immer medial präsenten Täter hin zu den Opfern dreht. Wobei „Opfer“ der richtige Terminus, „Täter“ jedoch wesentlich zu schwach für eine Beschreibung des Menschenhassers Anders Behring Breivik ist. Was er vorhatte, akribisch plante und in einer perfiden Kälte durchzog, ist nicht nur eine Tat, es kommt einer pathologisch gefärbten, feigen Auslöschung gleich.
Regisseur Erik Poppe hat sich dieser unmenschlichen Niedertracht angenommen, und man kann ihm quasi nachempfinden, wie er wohl nach einer Sprache suchte, einem angemessenen Erzählstil – denn wie erzählt man von derartigem Horror? Vom Grauen, das durch den zunehmenden Terror längst massiv Eingriff in unseren Alltag genommen hat? Poppe hat sich für eine gewisse Naivität entschieden, als gäbe es die alltäglichen Meldungen in der Häufigkeit noch gar nicht, dazu gehört, daß er den Opfern Gesichter und Namen gab, er von Kaja und Emilie, von Tobias und Oda, von Magnus und Halima und vielen anderen Jugendlichen erzählt. UTØYA 22. JULI rekonstruiert das Massaker des Neonazis Breivik 2011 auf der norwegischen Insel Utøya minutiös: Breivik ließ zuerst in Oslo eine Bombe hochgehen, um die Aufmerksamkeit der Polizei zu lenken und schließlich ungestört nach Utøya zu schippern, wo er dann Teilnehmer eines Sommerlagers der Norwegischen Arbeiterpartei wahllos niedermetzelte. Dadurch, daß man als Zuschauer ja den Ausgang des Grauens kennt, was die Bedeutung des Films niemals mindert, hält man das Hoffen, Bangen und diese naive Zuversicht der Jungen kaum aus: „Gibt’s was Neues aus Oslo?“, „Mann, wir sind auf einer Insel, der sicherste Ort der Welt ...“
Poppe vermeidet es, dem Wahnsinn ein Gesicht zu geben, die Fratze Breiviks ist eh jedem bekannt, der Filmemacher bleibt bei den Opfern, er erzählt ohne nennenswerten Schnitt in einer genau auf die Hetzjagd Breiviks getakteten Einstellung von der Panik und Flucht der jungen Menschen, er zeigt die sich vor Furcht krümmenden Leiber, schaut in die vor Angst entstellten Gesichter. Es sind Bilder, die kaum auszuhalten sind, ebenso wenig die anhaltenden Schüsse. Die Stille dazwischen ist fast noch schlimmer.
Und natürlich werden Denkanstöße gegeben, was unsere Gesellschaft vermag – auch im pejorativen Sinne. Welche Monster werden herangezogen, welcher Samen für Dämonen gesät, indem man gesellschaftlich-pädagogische Prinzipien wie Erziehung zu Anstand, Respekt und Toleranz untergräbt, indem immer mehr Erziehende in Bequemlich- und Hilflosigkeit jede Autorität missen lassen – oder eben das genaue Gegenteil in giftiger Dosis dem Nachwuchs zumuten. Doch Poppe ist kein Prediger, er ist eher Humanist und seine durch die beeindruckende Andrea Berntzen gespielte Hauptfigur Kaja taugt zur bewunderswerten Heroine, die trotz der unermeßlichen Angst und Pein enorme Courage aufbringt.
UTØYA 22. JULI ist ein aufwühlendes Zeugnis einer Welt, die leider komplett krank ist. Aussicht auf Heilung? Wenn man nach dem Film wieder an Paris, an Parkland oder an Orlando denkt, darf man durchaus zweifeln ...
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.