"Das wird kaltes, dunkles, einsames Universum" prophezeit die Erzählerstimme des Wissenschaftsmagazins. Im Halbdunkel eines Fernsehzimmers sitzen Marco und Susanne und schauen verliebt eine Sendung über sterbende Sterne. Sie leben im sachsen-anhaltischen Dorf Straguth nahe Zerbst, so wie Kneiper Otto, Rudi und seine Promenadenmischung Lotti und all die anderen Menschen, die VATERLAND ins Visier nimmt. Kinder reiten auf dicken Ponys, ein Feuerwehrfest wird gefeiert, Holz für den Winter gehackt. Und zwischendrin singt Rita immer wieder Weihnachtslieder. Doch vor der Kamera entfalten sich Dramen, Biographien. Und Straguths Vergangenheit kommt immer wieder hervor, die jüngere mit russischem Flugplatz und die weiter zurückliegende, als sich unter dem Flughafen ein Deportationslager befand.
Gestalterischer Firlefanz und jene Geschwindigkeit, die sich moderne Dokumentationen zu eigen und zum Erfolgsrezept gemacht haben, sind nicht Thomas Heises Fall. Der Regisseur ist gewissenhaft. Seine volle Aufmerksamkeit gilt den Zeitzeugen und ihrem Umfeld. Er läßt die Protagonisten ausreden, ausschweifen, selbst wenn sie sich in verwunderlichem Terrain verlieren. Landschaftsaufnahmen scheinen unweigerlich mit ausführlichen Schwenks verbunden zu sein. Daß ein ruhiges Tempo und ein Ohr für Zwischentöne in dokumentarischen Sternstunden münden können, beweist Sebastian Winckels’ SIEBEN BRÜDER. Doch ist in VATERLAND auf Anhieb weder ein attraktives Sujet auszumachen, noch ein bewußtes Anliegen.
Da muß sich der Dokumentarist der Frage stellen, warum recherchiert, gefilmt und montiert wurde. Die Antwort ist vielleicht eher ein Gefühl als eine Aussage, verbirgt sich in einer Vermutung, die sowohl von Schauplatz als auch Akteuren bestätigt wird: Die Suche nach einem Phänomen namens Vaterland, nach einer Wahrheit über "unsere Identität" ist nicht abgeschlossen. Sie führt an Orte und in Zeiten, die man bestens zu kennen glaubt und die doch noch so viel preisgeben können.
Thomas Heise erzählt vielleicht nicht über sterbende Sterne, aber über einen absurden Kosmos, der uns so bekannt und doch so fremd ist.
D 2002, 100 min
Verleih: Salzgeber
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Thomas Heise
Kamera: Peter Badel
Kinostart: 27.11.03
[ Roman Klink ]