Wir schreiben das Jahr 2002 und nichts ist mehr so, wie es einmal war: die Autos werden runder, die Kinder immer dümmer, das Geld zunehmend wertloser und: Männer haben Brüste und Frauen kriegen Schwänze. Das ist nur eine, sicherlich halbstarken-polemische und nicht wirklich schlaue Sicht auf den Strudel der Veränderung der Neuzeit. Da hat sich Gabriel Baur schon mehr Gedanken gemacht und nimmt uns mit auf eine Reise durch ein Universum, welches eines unserer Gesellschafts"phänomene" genauer beleuchtet.
Baur hat sich den Drag-Kings New Yorks an die Fersen geheftet und läßt sie in einer raffiniert aufgebauten, fesselnd erzählten und mitunter sehr intimen Dokumentation zu Wort kommen. Grenzen sind Grenzen sind Geschlechtergrenzen. Diese konservative Sichtweise der Dinge heben Del la Grace, Mo B. Dick, Bridge Markland und ihre zahlreichen Freunde aus dem Reich der Könige und Königinnen entsprechend aus den Angeln und begeben sich aus unterschiedlichen Motiven in den Sog der Verwandlung, in das Spiel um Identitäten, um die Sehnsucht nach Persönlichkeit.
Bridge spielt eher mit der Geschlechtslosigkeit oder dem übertriebenen Gegenstück und schafft sich imaginäre Figuren wie Karl, den glatzentragenden Proto-Deutschen. Bei anderen sieht das Ich-Puzzle nicht ganz so spielerisch aus. Sie sind eher falsch eingelagerte Seelen, die dieses launige Mißgeschick der Natur angehen müssen: mit Hormonen, Operationen, mit sozialen Blessuren. Baur führt diese allesamt doch starken Charaktere niemals vor, sie ist ihnen so nah und vertraut, daß sämtliche Grenzen der Beschämung und des Zweifels aufgehoben werden, und genau darum sollte es doch gehen: freier Geist, freies Leben, freie Formen.
Es ist bemerkenswert und dabei höchst unterhaltsam, mit welcher Selbstironie und teilweise fiesem Humor das eigene Leben von den Venusjungen und Marsmädchen kommentiert und reflektiert wird. Mit derart viel Ehrlichkeit, Zuversicht, Lebensmut, Respekt und Durchhaltekraft sollte die Lust am Glücklichsein allen zu eigen werden - egal ob freaky oder nicht.
Originaltitel: VENUS BOYZ
CH 2001, 104 min
Verleih: Movienet
Genre: Dokumentation, Schwul-Lesbisch
Regie: Gabriel Baur
Kinostart: 08.08.02
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.