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Verfehlung

Der Splitter im Auge

Drei Freunde, ein Fußballspiel, ein jovialer Klaps auf den Hintern, eine Kneipe, einige Biere, Gespräche über berufliches An- und Fortkommen. So geht die Welt in Ordnung, so geht Stinknormalität. Daß ein paar weiße Kragen und kleine silberne Kreuze an schwarzen Revers ausreichen, um diese Normalität mit Mißtrauen zu vergiften, gibt zu denken. Aber bis auch die drei das Gift bemerken, muß fast ein halber Film vergehen.

Jakob, Dominik und Oliver sind gesellige, sympathische Männer in den besten Jahren – und katholische Priester. Der eine dient seinem Herrn in der Kirchenverwaltung, der andere in der Jugendsozialarbeit, und Jakob arbeitet als Gefängnisseelsorger. Sicher, er ist Realist genug, um nicht in jedem Vergewaltiger, Mörder oder Schläger einen nur versehentlich gestolperten Engel zu vermuten. Aber sein Glaube gebietet, sich des Urteils zu enthalten und Beistand zu spenden. Als jedoch seinem Priesterkollegen Dominik sexueller Mißbrauch vorgeworfen wird, gerät nicht nur sein Gottvertrauen ins Wanken. Widerwillig stellt sich Jakob den Beweisen – und den Fragen. Wieviel Loyalität ist er dem Freund schuldig, wieviel Diskretion seiner Kirche und wieviel Ehrlichkeit sich selbst?

Gerd Schneiders Spielfilmdebüt ist in erster Linie ein intensives, auf kleinstem Feld ausgetragenes Gewissensdrama, dessen Zerreißproben nicht in Dominiks Hose, sondern vor allem in Jakobs Kopf stattfinden. Man darf es ruhig mutig nennen. Nicht wegen des zugrunde liegenden Mißbrauchsthemas, das einem durch die Aufdeckungen der letzten Jahre doch so schrecklich geläufig wurde. Mutig ist vielmehr die bescheidene Perspektive, die – freilich hochkonzentrierte – Alltäglichkeit, mit der Schneider, ehemals selbst Priesteranwärter, das Ungeheuerliche dort verortet, wo es passiert: nebenan. Er verweigert den voyeuristischen Blick, meidet die einschlägigen DORNENVÖGEL-Bilder, die pompösen filmischen Gesten und erzählt stattdessen von einem Familienvater, der das Offensichtliche nicht sehen will, von einer Bäckereiverkäuferin, die ihren Sohn gut betreut wähnte, von sozialen Mikrostrukturen, von persönlichen, pragmatischen und religiösen Verbindlichkeiten. Und er stutzt die Männer ohne Unterleib auf ein menschliches Maß zurück, zu dem auch ein biologischer und gesellschaftlicher Körper gehört – ebenso wie ein Mund, den man sich nicht verbrennen will.

D 2014, 95 min
FSK 12
Verleih: Camino

Genre: Drama

Darsteller: Sebastian Blomberg, Kai Schumann, Jan Messutat, Sandra Borgmann

Stab:
Regie: Gerd Schneider
Drehbuch: Gerd Schneider

Kinostart: 26.03.15

[ Sylvia Görke ]