Vom ersten, vom ersten richtigen Blick an, ist alles entschieden. Nicht beim vorstellenden Gespräch zwischen Elsa, der Bewährungshelferin, und Jan, dem sich zu Bewährenden. Den ersten, ganz sicheren Blick gibt es im Rückspiegel ihres Wagens, als der 17jährige auf einem Brückengeländer tänzelt. Sie hält, fährt zurück, fordert ihn zum Runterkommen auf. "Ich habe getan, was Sie wollten!" Jan wird alles tun, was die 50jährige Frau ihm aufträgt, er wird gehorchen, strikten Gehorsam leisten, wird Elsa mit seiner Demut vorerst verunsichern, sie schließlich in ihrem Willen stärken. Er wird auch ihre Lust entfesseln. Sie die Herrin, er der Sklave?
Was VERFOLGT über den einen oder anderen Film, der sich Sadomasochismus zum Thema macht, weit heraushebt, ist die Tatsache, daß es hier trotz klarer Rollenverteilung weniger um das rein Spielerische geht. Angelina Maccarone setzt auf das Magische einer nicht mehr zu bändigenden Sehnsucht, auf das Erwachen einer Leidenschaft, einer fiebrigen Begierde. Elsa hat schließlich nicht auf eine frustrierende Ehe zu reagieren, ganz im Gegenteil, sie hat ein geradezu gleichgewichtetes Verhältnis zu ihrem Mann, zu dem auch erfüllender Sex gehört. Und trotzdem fehlt da etwas ... Es gelingt Maccarone komplett abseits jedweden Voyeurismus’ eine Intensität, ein Knistern, ein großes Verstehen aufzubauen. Auch durch die Unsicherheit der Handelnden einerseits, was wie wann zu tun ist, und durch den bedingungslosen Willen andererseits, sich komplett zu öffnen. Jan offeriert der zweifelnden Elsa, sie könne ihn haben. Sie ohrfeigt ihn in einem abgewrackten Schuppen, in dem sie sich mehrfach treffen, und fragt: "So?"
Es geht hier kaum um das gezielte Ausleben eines Fetischs, nein, das ist Maccarones Thema nicht. Sie interessiert die Kollision zweier Menschen, zweier ganz gegensätzlicher Menschen, die das ungestillte Bedürfnis haben, sich in einer bislang unbekannten Intensivität zu spüren. Derart intensiv, wie es den meisten Begegnungen unmöglich bleiben muß. Entsprechend reagiert auch die Umwelt der beiden, als Licht auf ihre Beziehung fällt. Pervers, krank ist das Wort, das Elsas Mann und ein Freund Jans am schnellsten über die Lippen kommt. Einfach überfordert ist der Gatte. Pervers aber ist nur die Gewalt, der sich Jan durch seinen prügelnden Kumpel ausgeliefert sieht. Maccarones Verdienst ist es auch, daß sie eine ungewöhnliche, eine fast spontane Beziehung nicht durch Erklärungen schwächt, damit ihrer Tiefe beraubt. Selbst Elsa und Jan werden kaum sprechen, deuten, sie tun einfach, sie gehorchen sich selbst. Und damit gelingt ein starkes, ein nichtwegzuredendes und allem übergeordnetes Bild einer Liebe, die sicherlich nicht im Gleichklang läutet, die sehr oft auch zeitlich begrenzt sein muß. Aber echt ist sie in jedem Moment.
Elsa fällt es zum Schluß leichter, eine harte Entscheidung zu fällen. Jan, der die Tickets nach Brasilien in der Hand hält und eine hinreißende Inkarnation eines nun bestimmenden Versorgers bietet, ist da gebrochener. Er ist der junge, verletzte, glutäugige Wolfswelpe, der längst nicht seine letzte Narbe davon getragen hat. Sie ist die blaßhäutige, fast skandinavisch anmutende, härtere Natur, die ganz einfach mehr gelebtes Leben hinter sich hat. Und genau für diese Rollen sind Marion Kroymann und Kostja Ullmann die einzig richtigen Darsteller. Uneitel, authentisch, kantig, empfindsam. Auch ihre Besetzung ist der Klugheit Maccarones zuzuzählen, die mit Erfolg den Versuch gestartet hat, einer für viele sicher ungewöhnlichen Liaison den Ruch des Abnormalen, des Perversen zu nehmen. Zu echter Liebe gehört eben auch Schmerz.
D 2006, 87 min
Verleih: 24 Bilder/MMM
Genre: Drama, Erotik
Darsteller: Kostja Ullmann, Maren Kroymann
Regie: Angelina Maccarone
Kinostart: 01.02.07
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.