1 Bewertung

Versicherungsvertreter

Gier und Größenwahn einer Branche

Es gibt Menschen, die rollen ihr Leben lang den gleichen Stein den Berg hinauf. Andere wechseln ab und zu den Stein aus, nehmen aber immer den gleichen Weg. Der Dokumentarfilmer Klaus Stern scheint Anhänger dieser Taktik zu sein. Stern machte bereits Filme über New Economy-Manager, Tourismus-Unternehmer und Terroristen. Was all diese unterschiedlichen Menschen eint, ist leicht gesagt: Größenwahn.

In seinem neuesten Film porträtiert er Mehmet E. Göker. Der hat es vom einfachen Versicherungsvertreter in nur drei Jahren zum Leiter des Unternehmes MEG geschafft. In ihrer Hochzeit machte die MEG 65 Millionen Euro Umsatz und beschäftigte mehr als 1000 Leute. Göker selbst ist ein typischer Verkäufer, hyperaktiv und – keine Überraschung – größenwahnsinnig bis zur Lächerlichkeit. Bis zu 8.000,00 Euro kassiert er als Provision für den Abschluß einer einzigen Krankenversicherung. Sein Firmenwagen ist ein Ferrari. Der Paradiesvogel inszeniert sich oft und gerne, so daß Klaus Stern auf einen reichen Fundus an Material zurückgreifen kann. Der Fremdschämfaktor dieser Aufnahmen ist enorm. Ende 2009 fällt das Imperium MEG. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Untreue, Insolvenzverschleppung und unlauterem Wettbewerbs. Gökers private Schulden belaufen sich auf 21 Millionen Euro – zu viel, wie er grinsend feststellt, um es jemals zurückzuzahlen …

Die Dramaturgie dieser Geschichte ist so wahnsinnig, daß man sie jedem Drehbuchautor um die Ohren hauen müßte. Aber Stern kann sich darauf berufen, daß all das genauso passiert ist. Das gilt auch für die Protagonisten seiner anderen Filme. Aber reicht das wirklich aus? Fast noch problematischer als die sich wiederholende Dramaturgie ist die Tatsache, daß die schillernden Persönlichkeiten, die Sterns Filme bevölkern, leicht den Blick auf die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Strukturen verdecken. Im aktuellen Fall weigerten sich zum Beispiel sämtliche Vertreter der großen Versicherungskonzerne, vor die Kamera zu treten. Statt also einen Film über ein wahnsinniges System zu machen, machte Stern einmal mehr einen Film über einen Mann im Wahn. Das ist zwar einigermaßen unterhaltsam, ein Gefühl der Übersättigung ist aber nicht zu vermeiden, wenn man mehr als einen Film von Stern gesehen hat.

Das Beunruhigende daran ist, daß Klaus Stern zweifellos noch viele Größenwahnsinnige jeglicher Couleur in petto hat. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der nächste Stein den Berg hinaufgerollt wird.

D 2011, 79 min
Verleih: Real Fiction

Genre: Dokumentation

Regie: Klaus Stern

Kinostart: 08.03.12

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.