Originaltitel: VICTORIA
F 2016, 97 min
FSK 12
Verleih: Alamode
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Virginie Efira, Vincent Lacoste, Melvil Poupaud
Regie: Justine Triet
Kinostart: 04.05.17
Oh je! Muß, ängstlichen Blickes auf den deutschen Titelnachklapp geschielt, hier etwa ein radikalfeministischer Bauernschwank erwartet werden, eine anderthalbstündige Schmähung des Mannes, das ultimative emanzipatorische Manifest? Nein, ganz so arg kommt’s zum Glück doch nicht. Kurz auf- und durchgeatmet, dann BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL-Witwe Virginie Efira beim erneuten Versprühen ruppig-spröden Charmes erlebt. Diesmal eben im Körper Victorias: Anwältin, Suchende, doppelte Mutter, sexuell ungezwungen, ausgelaugt. Ein Ex soll versucht haben, seine Freundin zu morden, einziger Zeuge: der gemeinsame Hund Jacques. Ist den vermeintlich aussagekräftigen Wedeleien des Tieres zu trauen?
Victoria übernimmt die Verteidigung, ihrer ständigen Erschöpfung sowie aller privaten Bedenken zum Trotz. Und aus heiterem Gewitterhimmel verliert der Film jetzt plötzlich seinen Fokus, ergeht sich in Nebenhandlungen, zerfasert regelrecht. Es taucht ein ehemaliger Klient auf, einst drogenabhängig, welcher ungelernt, aber von obsessiver Verehrung für unsere etwas andere Staatsdienerin getrieben, ihren Assistenten geben will. Victorias geschiedener Gatte feiert mit autobiographischen Schmähschriften über sie Erfolge. Berufsverbot droht. Außerdem steht nicht bloß Jacques’ Glaubwürdigkeit zur Debatte, sondern ebenfalls die des sich unvermittelt schräg benehmenden Herrchens.
Was nun eine Komödie sein möchte, funktioniert nur als solche, wenn man es witzig findet, Victorias Zusammenbruch zuzuschauen. Ergo flugs die Erwartungshaltung korrigiert, hin zum manchmal tragikomisch angehauchten Drama – paßt. Und da brilliert Efira erwartungsgemäß, wie sie den Kindern beispielsweise unorthodox Essen macht, glühende Zigarette in der Hand, der Blick immer glasiger. Wir sehen zwischendrin, während der x-te Fremde erotische Aufmerksamkeit erfordert, ihren nackten Rücken. Und schließlich bringt er die belastende Überforderung auf den Punkt, jener kurze, inhaltsschwere Satz: „Jede Stunde wiegt eine Tonne.“
Selbstverständlich schauen wir Efira selbst im Zustand psychischer Auflösung gern zu, überstehen in Richtung Finale zunehmend verquatschte Szenen, seufzen zum erwartungsgemäß bestaunbaren Klar-gibt’s-das-doch-Happy-End. Und lernen, daß die Integrität eines Dalmatiners allgemein eher schlechte Werte verzeichnet.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...