Originaltitel: VICTORIA & ABDUL
GB 2017, 112 min
FSK 6
Verleih: Universal
Genre: Tragikomödie, Historie, Biographie
Darsteller: Judi Dench, Ali Fazal, Eddie Izzard, Michael Gambon, Olivia Williams
Regie: Stephen Frears
Kinostart: 28.09.17
In gefräßiger Hektik haut sie sieben Gänge hinter, degradiert Braten zum eiligen Fingerfood und nickt an der Tafel kurz weg. So führt Stephen Frears, angesichts blauen Blutes kaum ehrfürchtig erstarrt, Victoria ein, Herrscherin über das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Irland, außerdem Kaiserin von Indien. Eine kleine Frau, die am Stock geht – wortwörtlich und metaphorisch, denn ungeachtet extrem vollgepackter Regentschaftstage nagt die Einsamkeit am adligen Herzen. Alle großen Lieben tot, die Kinder mißraten, peinlich, zerstritten ...
Da erwidern Victorias Blick verbotenerweise zwei gütige Augen, namentlich die Abduls, indischer Muslim, wegen imposanten Wuchses auserwählt, im Namen des „Subkontinents“ einen Mohur zu übergeben. Die betagte Queen schaut genauer hin, weiß immer noch männliche Schönheit zu würdigen, befördert Abdul zum Diener. Unter den Hofschranzen breiten sich Schock und Neid aus. Lediglich lästig für die Monarchin, sie bringt dem erst Fremden, bald Freund uneingeschränktes Vertrauen entgegen, erblüht regelrecht.
Steifes Historienkino? Okay, natürlich steht an allen Ecken und Enden irgendwas gleichermaßen Hübsches wie vermutlich komplett Unnötiges rum, raschelt vorrangig am Körper der Damen prächtiges Kostümwerk und ist gewisse Gediegenheit beim Erzählen Mittel der Wahl. Leider auch die Optik betreffend, den alleinigen Höhepunkt markiert ein Spaziergang unter der bereits recht tief gesunkenen, sich daher strahlend ins Bild schmuggelnden Sonne. Zudem kennt die Hier-eine-Violine-dort-etwas-Oper-Standardtonspurberieselung keinerlei Originalität, untermalt nur gefällig eine Synchronisation, welche in Abduls Fall häufig schrecklich klischiert klingt – eben so, wie man sich landläufig einen Deutsch sprechenden Inder vorstellt. Das mußte gesagt und kann doch sofort abgehakt werden.
Weil vorliegende späte Aufarbeitung von Queen Victorias „Twilight Years“ trotzdem einfach Spaß macht. Grandios doppelbödig ihre Antwort auf den Vorwurf, Abdul wie ein Mitglied der eigenen Familie zu behandeln: „Nein, ich schätze Abdul!“ Ein purer Gänsehautmoment hingegen die Reaktion, als Abdul fragt, wie er jemals danken könne. Und dem Geschichtsfreund mag manche Anspielung Freude bereiten, etwa eine neidisch vom „braunen John Brown“ zischelnde Zunge. Geradezu spielerisch entlarven sich ganz nebenbei feige Speichellecker selbst: Stets die aufgerissene Klappe beim rückwärtigen Rausschreien wehleidiger Ressentiments, geht’s allerdings darum, den Unmut öffentlich zu machen, muß ein – nicht bloß bezogen auf den Überbiß – schüchternes Mäuschen der Königin Bericht erstatten.
Und was kann die alles werfen: giftige Blicke, deutliche Worte, Gegenstände. Steilvorlagen für Judi Dench, erfahren in der Darstellung von Monarchinnen. Denchs schon zum zweiten Mal verkörperte Victoria informiert den angeschlagenen Privatsekretär trocken und sichtlich lustvoll: „Sir Henry, diese Mango ist hinüber!“ Sie läßt oft Nahaufnahmen zu, wir sehen ein zwar lebensweises, aber durch die Zeit zerstörtes Gesicht, tiefe Augenringe, Müdigkeit, Abscheu. Später geradezu mädchenhaftes Strahlen. Perfekte, jeden Augenblick auskostende Schauspielkunst – und wenn dann gegen Ende Victoria, bis dato unbeugsam, schließlich fällt, reißt Dench uns mit, hinein in ein Meer aus würdiger und letztlich schöner Traurigkeit.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...