Heutzutage, da man mit jedem Handy filmen kann, ist das Festhalten des eigenen Lebens in bewegten Bildern ein Klacks. Unzählige Kleingartenfilmchen, die höchstwahrscheinlich nicht einmal von den vermeintlichen Videochronisten selbst je noch einmal angesehen werden, sind das Ergebnis. Ganz anders verhält es sich bei Videopionier Gerd Conradt: In seinem hauseigenen Filmarchiv lagern Schätze, die neben den Lebensausschnitten auch Zeitgeschichte bannen.
Der Videokünstler nahm einen Umzug zum Anlaß, um sein Privat-Oeuvre durchzuforsten. Aus den Funden fügte er ein filmisches Testament zusammen, das zunächst nur für seinen Enkelsohn bestimmt war, aus dem dann aber mehr wurde: die kunstvoll collagierte Chronik eines deutschen Nachkriegslebens, die es unter anderem in den Wettbewerb des diesjährigen DOK Leipzig Filmfestivals schaffte.
Gerd Conradt hat wahrlich viel erlebt. 1955, als 14jähriger, verläßt er das Elternhaus in Erfurt und siedelt autonom ins Internat nach Westberlin um. Als einer der ersten Studenten der 1966 frisch gegründeten Film- und Fernsehakademie Berlin schloß er sich bald der 68er-Bewegung an und hatte mit dem Kommilitonen Holger Meins einen prominenten Extremisten zum Freund. Früh Vater geworden, stand Conradt allerdings bald vor der Frage, was wichtiger ist: Revolution oder Familie? Letztendlich zwang ihn das Schicksal zur Entscheidung, als die Mutter seiner Tochter Alfa sich überraschend das Leben nahm, und Conradt nun die Vollzeitvaterrolle innehatte. Allerdings hing der Vollblutfilmer die Kamera auch danach nicht an den Nagel und hielt seine Suche nach dem wahren Selbst bis in die Gegenwart fleißig fest.
Von Super-8-Aufnahmen aus Studententagen über 16 mm bis zu HD-Filmen vermischt und kontrastiert Conradt versiert die Ästhetiken seiner Lebensjahrzehnte und schlägt am Schluß sogar eine Brücke zum Revolutionären in der Gegenwartskunst, indem er auch Christoph Schlingensief zu Wort kommen läßt. Gen Ende krankt sein über weite Strecken spannendes und berührendes Videotestament etwas an der unverblümten Selbststilisierung zum ungebrochenen Revoluzzer, was den Gesamteindruck eines interessant gestalteten Identitätspuzzles aber nur gering schmälert, denn schließlich ist es nur menschlich, daß man dem Selbst etwas unkritischer gegenübersteht als dem gewöhnlich auf Abstand gehaltenen, externen Dokumentarfilmsujet.
D 2012, 88 min
FSK 6
Verleih: Basis
Genre: Dokumentation, Biographie, Historie
Regie: Gerd Conradt
Kinostart: 21.11.13
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...