Und warum nicht einfach warten? Das sagt mittlerweile jedes achte Mädchen in den USA und spart sich für den Richtigen auf. Der ist im besten Fall eine Mischung aus Krieger und keuschem Prinz und hat sich auch aufgehoben – für die Nacht der Hochzeit. Die Helden des „wahren“ und unbedingt unterhaltsamen Märchens, das die Schweizer Filmemacherin Mirjam von Arx erzählt, sind die Wilsons. Die Familie hat sieben Kinder und lebt in Colorado Springs. Der Heldenhafteste der Familie ist sicher Randy, der Vater. Er ist der geistige Führer der Familie, smart, fast schon sexy mit seinem Dreitagebart und von bibeltreuer Gesinnung. Er hat den „Purity Ball“ gegründet, eine Reinheitszeremonie, bei der Väter ihren Töchtern geloben, sie auf dem tugendhaften Weg zu leiten und sie zu beschützen.
Wie sie da so stehen in ihren elfenhaften Kleidern und Krönchen, ihre Väter anhimmeln und sich die Tränen der Rührung verdrücken, wähnt man sich in einer ziemlich schlechten Fernsehshow. Aber die Wilsons scheinen allumfassende Reinheit, selbst in Gedanken, wirklich zu leben, jedenfalls werden sie nicht müde, sich vor der Kamera permanent gegenseitig ihrer Achtung und Dankbarkeit zu vergewissern. Deshalb sind sie ein Glücksfall für die Regisseurin, denn man wähnt sich als – fast könnte man sagen – Voyeur (so dicht ist von Arx an den Wilsons dran) dieser Szenen im Zwiespalt. Wie kann Jordyn, offensichtlich nicht auf den Kopf gefallen, mit 23 wirklich sagen, daß sie schon immer Ehefrau und Mutter sein wollte und daher kein Geld für irgendeine Ausbildung verschwenden will? Perfekt gestylt in Pink mit Perlenkette gibt sie einen Benimmkurs für junge Frauen. Auf dem Programm steht: Pasteten backen, Tee richtig servieren, Schmuckstück sein. Das Erbe der Frau seien Charme und Schönheit. Das macht ratlos. Wieviel Gehirnwäsche, fragt man sich, ist nötig, wieviele Initiationsrituale, damit eine ganze Familie, ja eventuell eine ganze Gemeinschaft mit diesem doppelbödigen Heiligenschein herumläuft? Und wie gefährlich ist das?
Denn hinter der reinen Fassade verstecken sich auch andere Töne, wie in einem Werbespot der „Watchmen On The Wall“ deutlich wird, einer evangelikalen Organisation, für die Randy tätig ist, und die sich als Sittenwächter der Welt versteht. Das Böse, was es zu bekämpfen gilt, sind in dem Spot nicht nur Armut und Hunger, sondern auch Homosexualität und Barack Obama. Oder wie Randy es gemäßigter ausdrückt: Toleranz kann auf jeder Ebene ein Grund zur Trennung sein.
Originaltitel: VIRGIN TALES
D/F/CH 2012, 87 min
FSK 12
Verleih: Präsens-Film
Genre: Dokumentation
Regie: Mirjam von Arx
Kinostart: 31.01.13
[ Susanne Schulz ]