Eine Großbaustelle im Nirgendwo. Ein Gebäude entsteht. Keine Schule, kein Flughafen, aber dennoch ein Bauwerk, das unsere Gesellschaft braucht. Denn dort kommen die hin, die sich nicht ans Gesetz halten. Hier sollen, wenn das Gebäude fertig ist, Freiheitsstrafen verbüßt werden. Verstöße gegen die Regeln unseres Zusammenlebens werden bald mit Zeit hinter diesen Mauern aufgerechnet. Natürlich, denkt man. Was denn sonst? Wie denn sonst?
Wenn ein Dokumentarfilm es schafft, daß man über diese scheinbar unumstößlichen Gegebenheiten nachdenkt und grundsätzliche Annahmen vom Verhältnis zwischen Verbrechen und Strafe hinterfragt, ohne daß einem der Film diese Fragen mit erhobenem Zeigefinger aufdrängt, dann haben die Filmemacher etwas erreicht. Daniel Postrak und Jörn Neumann schaffen dies mit vermeintlich einfachen Mitteln: Das Zentrum ihres Films sind Gespräche mit drei Insassen in deren Zellen. Reflektiert und lebensweise sprechen die Männer über ihren Gefängnisalltag, ihre Träume und über ihr Verbrechen, ihre Schuld. Alle drei haben einem anderen Menschen das Leben genommen und müssen Haftstrafen verbüßen, welche die Lebenszeit „draußen“ in unendlich scheinende Ferne haben rücken lassen. Das Bemerkenswerte dabei ist, daß man als Zuschauer Empathie für die Protagonisten entwickelt, ohne daß die Schuld dieser Männer marginalisiert oder verharmlost wird. Denn die Schuld ist allgegenwärtig. Sie ist eingebrannt bis tief ins Unterbewußtsein, läßt sie selbst im Traum nicht los. Und sie ist, wie alle drei sagen, mit Zeit nicht aufzuwiegen. Auch nicht durch eine lebenslange Haft.
Die scheinbar nüchterne Betrachtung der Parallelwelt Knast entpuppt sich als hochemotionaler Einblick in einer von dauerhafter Fremdbestimmung gezeichnetes Seelenleben. Es braucht keine Bilder vom Treiben auf dem Innenhof, in der Kantine oder im Sportraum. Was Knast mit Menschen macht, vermittelt sich über die Worte, die Gesten und Gesichter der drei Männer. Unterschnitten sind die packenden Interviewpassagen mit Bildern von anfangs erwähnter Großbaustelle. Ein Knast entsteht. Man wird dieses Gebäude nach diesem Film mit anderen Augen sehen. Und viel wichtiger: die Menschen, die hinter diesen Mauern sind oder waren, auch.
D 2013, 79 min
FSK 12
Verleih: Real Fiction
Genre: Dokumentation
Regie: Daniel Poštrak, Jörn Neumann
Kinostart: 03.07.14
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...