Der Pferdefilm steht unter dem Generalverdacht, einem mit Brachialromantik auf die Hufe steigen zu wollen. Fury mag zu diesem zweifelhaften Ruf beigetragen haben, vielleicht auch Winnetous Iltschi oder das psychosomatische Flüstermärchen vom Mädchen und dem Wallach Pilgrim, das einem wie ein Föhnwind ins Pony wehte. Kurzum: Das Kino gab sich Mühe, seine Pferde totzureiten. Dabei – denken wir an Muybridge – kam das bewegte Bild doch einst hoch zu Roß …
Folgerichtig versucht sich Regisseur Benedikt Erlingsson in seinem Spielfilmdebüt nun an einer Ehrenrettung des berittenen Kinos, das man seit dem Aussterben des Westerns für einen verendeten Gaul halten konnte. Erlingsson aber gibt ihm die Sporen – mit einem vulkanerdigen Episodenreigen voller ungezähmter Abgründigkeit, fotografiert und erzählt mit jenem siebten Sinn für halsbrecherische Bild- und Stimmungskontraste, der den isländischen Film zu einem der wildesten europäischen Exoten macht.
Schauplatz ist ein entlegenes Tal, bevölkert von Islandpferden und seltsamen Humanoiden, die sich gegenseitig mit Ferngläsern observieren. Es flackert nur so von Lichtreflexen in den zersiedelten Höfen, vor denen sich ganze Familien zusammenfinden, um den fernen Nachbarn beim Leben, Lieben und Leiden zuzusehen. So entfaltet sich vor den neugierigen Blicken etwa eine Szene, in der ein stolzer Reiter namens Kolbeinn der Witwe Solveig einen Antrittsbesuch abstattet. Wirklich zu Potte kommen aber nur die edle Stute Grána und Solveigs Hengst Brúnn, nämlich in einem schamlosen Liebesakt, der die eigentlich reservierten Pferdebesitzer zum Äußersten treibt.
Ja, im isländischen Frühling schlagen nicht nur die Bäume, sondern auch die Pferde aus. Und Erlingsson tritt nach – mit einer finsteren Komödie über Mythos und Alltag, Animalisches und Menschliches, Hochprozentiges und Suboptimales, Naturromantik und schroffe Gegenwart, in der sich nicht nur der einsame Fahrradtourist aus Lateinamerika überaus seltsam ausnimmt. Orange leuchtende Wetterjacken vor karger Landschaft, Stacheldrahtzäune in ungekämmter Umgebung, bedrohliche Musikpassagen, die ins Galoppieren kommen, wenn sich in den Augen der Tiere neues Unheil ankündigt. Davon gibt es reichlich, auch wenn im Abspann geradezu feixend versichert wird, daß bei den Dreharbeiten kein Lebewesen zu Schaden gekommen sei.
Originaltitel: HROSS l OSS
Island 2013, 81 min
FSK 12
Verleih: NFP
Genre: Komödie, Schräg
Darsteller: Ingvar E. Sigurdsson, Charlotte Bøving
Stab:
Regie: Benedikt Erlingsson
Drehbuch: Benedikt Erlingsson
Produktion: Fridrik Thor Fridriksson
Kinostart: 19.02.15
[ Sylvia Görke ]