Originaltitel: THE MERCY

GB 2018, 102 min
FSK 6
Verleih: StudioCanal

Genre: Drama

Darsteller: Colin Firth, Rachel Weisz, David Thewlis

Regie: James Marsh

Kinostart: 29.03.18

1 Bewertung

Vor uns das Meer

Ein Mann, kein Ausweg

Vom Scheitern erzählt das Kino nicht allzu gerne, ungetrübte Heldenepen sind gängiger, quasi als Ablenkung von der eigenen Üblichkeit. Dabei sind es doch gerade die Geschichten von Eifer und Versessenheit, die eben nicht selten ins Verderben führen, die einen packen, Fragen aufwerfen, wobei das Warum? noch eher von marginalem Wert ist. Denn warum Donald Crowhurst sich auf einem von Beginn an nur eingeschränkt manövrierfähigen und kaum hochseetauglichen Gefährt auf eine Weltumseglung machte, ist klar: Er war nicht mehr jung und brauchte das Geld! Seine Firma steuerte in Richtung wirtschaftlichen Bankrott, die ganze Hoffnung des Amateurseglers ruhte auf dem von ihm erfunden Peilfunker „Navicator“, und der Ruhm, der ihm sicher war, wenn er als schnellster Ein-Hand-Segler ohne Halt die Welt umrundete, sollte den Verkauf des Geräts ankurbeln. Und da Crowhurst neben einer Friemlerseele auch über ein romantisches Herz verfügte, war sein Ansinnen ein ehrenwertes, wollte er doch seiner Familie schlicht ein besseres Leben bieten.

Daß dieses Unterfangen Ende der 60er Jahre von Beginn an zum Scheitern verurteilt war, erkennt man bereits daran, wie der Trimaran durch die Dünung im sicheren Hafen schaukelt, und noch mehr, wenn man ins Gesicht des Darstellers Colin Firth, mit Hemd und Krawatte unterm Friesennerz, schaut. Übrigens: Firth ist nichts weniger als die Idealbesetzung eines Typen, der zum einen euphorisch sein und andere euphorisieren kann, zum anderen stehen ihm aber auch per se Furcht und Zweifel ins Gesicht geschrieben! Und so einer wie der von ihm gegebene Crowhurst kann in einem Metier, in dem Wellengröße nicht in Metern, sondern in der Skalierung von Angst gemessen wird, kaum zum Sieger taugen. Was Crowhurst selbst auch sehr schnell bewußt wird, wenn nämlich erträumte Geschwindigkeiten mit dem selbstgebauten Kahn partout nicht erreicht und die Lecks größer werden, als daß man mit dem Schöpfen noch nachkommen könnte, wenn Parolen wie sein „Träume sollten zu Taten werden“ wie blanker Hohn erscheinen. Crowhurst kommt nicht von der Stelle, gerät in Seenot, und doch hält er sich und die brav jubilierende Presse vorerst mit herrlichsten Ausschmückungen via Funk bei Laune, erkennt aber bald die Aussichtslosigkeit seiner Unternehmung – und bricht den Kontakt einfach ab.

Nochmals: Firth gelingt es, diese Furcht- und Ahnungslosigkeit, diesen Wahnsinn, auch die Freude und Unbeirrbarkeit in der ihm ureigenen Großjungenmanier perfekt umzusetzen, das sich verdichtende Drama, die zunehmende Panik ob der unausweichlichen Niederlage spielt er nachfühlbar, und es rührt schon an, wenn Crowhurst seine geliebte Frau Clare halluziniert, denn ausgerechnet sie wird er enttäuschen, ausgerechnet die Frau, die von ihm sagt, daß er ein Mann sei, der immer einen Ausweg findet. Tut er ja dann auch ... Crowhurst gibt in mehrfacher Hinsicht eine formidable Kinofigur voller Ambivalenz ab. Zum einen war er in der Lage, Tatsachen komplett zu ignorieren, womit man schnell weiß, daß die Fähigkeiten des namenlosen Einhandseglers aus ALL IS LOST niemals auch nur ansatzweise mit denen des Elektrikbastlers vergleichbar wären, das Schicksal ist daher ziemlich bestimmt. Und zum anderen erhält die Filmfigur Crowhurst eine beeindruckende Tiefe, wenn Erfinder- und Abenteurergeist Hand in Hand mit der Angst vor Schmach und Schande gehen. Dazu korrespondiert fantastisch die zurückgenommene Musik von Jóhann Jóhannsson, wobei mit dessen kürzlichem Ableben sich neuerliche Traurigkeit auftut ...

[ Michel Eckhardt ]