Die Erde und der Himmel der nordtürkischen Berge, ein fast verstrichenes Leben, ein später Aufbruch - das sind die Pole dieser verschwiegenen Filmwelt. Verschwiegen ist sie schon deshalb, weil die Filmemacherin Yesim Ustaoglu mit der Vertreibung der pontischen Griechen ein Stück Nationalgeschichte thematisiert, über das in der Türkei bis heute nur leise gesprochen wird. Zugleich aber trifft das dramatische Flüstern die Lebensmelodie einer Frau, der nur das Stillschweigen über ihre Herkunft das Bleiben erlaubte.
Als Ayshe kennt man sie im Dorf, als Griechin Eleni wurde sie vor sechzig Jahren geboren. Für Mehmet, einen Jungen aus der Nachbarschaft, ist sie Großmutter, Beschützerin, Geschichtenerzählerin, Trösterin. Wie ihre eigene Geschichte begann, daß es einen Bruder gab, den sie als Mädchen zurückließ, um mit einer türkischen Familie zu gehen, kann er nicht wissen. Nun ist Ayshes Adoptivschwester gestorben. Ein Wollknäuel rollte der Greisin im Sterben aus der Hand, als wolle es den Weg in die Vergangenheit weisen. Ayshe wird noch stiller als sonst, geht mit in die Berge, wo eine Hochzeit gefeiert wird, und will nicht wieder herunter.
Das komplexe Geflecht von Heimat, Fremdheit und einer übermächtigen Schuld aus Kindheitstagen ist hier - gerade, weil das Sprechen so schwer fällt - vor allem eine Sache der Bilder. Sorgsam sind sie komponiert, diese kargen Landschaften aus Boden und Wolken, diese halbdunklen Interieurs, die wie Genregemälde des ausgehenden 19. Jahrhunderts anmuten - ein fremdelndes Zuhause im Stillstand. Urzeit drinnen, die 70er Jahre mit staatlich verordnetem Nationalstolz, mit Volkszählung und Fernseher draußen.
Exemplarisch, ganz einverständlich mit ihrer verschlossenen Protagonistin, ergänzt um Seitenblicke auf andere Verlassene wie Mehmets Freund Chengiz, erzählt Ustaoglu zugleich ganz allgemein vom nicht und niemals zu Hause sein können, von einer inneren Heimat, die immer hinter dem Meer oder hinter den Bergen liegt. Berückend ist die Schlichtheit, bewegend die Wärme, mit der sie dies tut. Aber diese bittere Heimkehr nach all den Jahren! Ja, wie könnte sie anders sein?
Originaltitel: BULUTLARI BEKLERKEN
F/D/Griechenland/Türkei 2004, 87 min
Verleih: mîtosfilm
Genre: Drama
Darsteller: Rüçhan Çaliskur, Rõdvan Yagcõ, Dimitris Kamberidis, Jannis Georgiadis
Stab:
Regie: Yesim Ustaoglu
Drehbuch: Yesim Ustaoglu
Musik: Michael Galasso
Kinostart: 08.12.05
[ Sylvia Görke ]