D 2020, 116 min
FSK 6
Verleih: Farbfilm

Genre: Dokumentation

Regie: Janna Ji Wonders

Kinostart: 21.10.21

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Walchensee Forever

Ein Familiengedächtnis

Sprechen wir von der Flut. Oder einem Feuer. Von deren Kraft und zerstörerischer Lust, noch das Wichtigste zu fressen neben dem Leben. All die Erinnerungen, Fotos, Briefe, Filme, Kassetten, Knöpfe, aus Gründen gesammelte Äste und Wurzeln, die vernichtet sind. Welcher Notfonds, welche Versicherung oder gut gemeinte Spende könnten da wirklich helfen?

Diese kleine Umleitung kam dem Schreiber beim Sehen von WALCHENSEE FOREVER in den Sinn, völlig unkonkret und gleich gar nicht, weil das Interesse am Werk sich verflüchtigt hätte. Im Gegenteil. Janna Ji Wonders’ dokumentarisches Essay ist brillant, raffiniert und individuell wie universell zugleich. Entstehen aber konnte es nur, weil weder Flut noch Feuer etwas dagegen hatten. Der Regisseurin war es vergönnt, sich dem gut erhaltenen Material aus über 100 Jahren widmen zu können. Bewegt, unbewegt, bewegend. Fünf Generationen Familiengeschichte – die Geschichte ihrer Familie. Mütterlicherseits.

Man kann im Café Bucherer am Walchensee noch immer Kaffee trinken. 800 Meter über dem Meeresspiegel, mit Alpenpanorama. So wie 1920. Die Urgroßmutter hatte den Staffelstab der Gastwirtschaft dereinst übernommen und an ihre Tochter weitergegeben. Mit deren zwei Töchtern brach die direkte Linie ab, denn mittlerweile hatten junge Mädchen anderes im Kopf, das Weggehen und Vielleicht-nicht-Wiederkommen. München, Mexiko, San Francisco, Indien, Hippie statt Hackbrett, Gras nicht nur riechen, sondern auch rauchen. Walchensee? Der komplette Filmtitel verrät dann doch das Ende. Männer kommen nur am Rande vor, und es tut überhaupt nichts zur Sache, eher gut. Großvater, der „den Krieg in die Familie gebracht hatte“, verließ die Seinen früh. Von da ab ging es um die Frauen. Um Eleganz am Herd und weiße Kittel, Vorwurf und Entwurf, Tradition und Bewegung, um Los und Lassen. Oma Norma wurde 104, Janna hat längst selbst ein Kind – eine Tochter.

Was zunächst eine nur private Geschichte ist, wird spätestens mit dem Namen Rainer Langhans öffentlicher. Jannas Mutter Anna gehörte bei ihm zum „Harem.“ Doch die Regisseurin ködert damit nicht. Mutig wie geschickt, distanziert wie intim fährt sie ihre Linie, vor allem über Eins-zu-eins-Gesprächssituationen und Montage von Fotos und Filmen zu erzählen. Der Effekt ist enorm und trägt über alle Laufzeit. Als Familiengedächtnis, das sich nicht nur fortschreibt, sondern nun geteilt wird.

[ Andreas Körner ]