• Meinungen

Waldheims Walzer

Wasserstrahl aufs Inferno

Kurt Waldheim war seit zehn Jahren UN-Generalsekretär, als er sich 1986 entschied, seine Bilderbuchkarriere als österreichischer Bundespräsident zu beschließen. So kam es ihm denkbar ungelegen, mit Vorwürfen aus den Reihen des jüdischen Weltkongresses konfrontiert zu werden, er habe seine Biographie geschönt und seine Tätigkeit als Offizier der Wehrmacht von 1942 bis 1944 einfach „vergessen.“ Überraschenderweise stieß Waldheim zu Hause auf viel Verständnis für sein schwaches Gedächtnis. Viele Österreicher nahmen es eher seinen Kritikern übel, daß sie ihren „Helden“ für seine Lügen kritisierten. Antisemitische Ressentiments krochen zurück in den Sprachgebrauch, und es entwickelte sich eine scharfe Auseinandersetzung um die Frage nach der historischen Wahrheit und den Umgang der Gesellschaft mit ihren vergeßlichen Eliten.

Die junge Ruth Beckermann gehörte damals zu denen, die mit Protest-Aktionen dazu beitrugen, daß aus der Geschichtsklitterung eines Einzelnen die „Waldheim-Affäre“ wurde, die Österreich nachhaltig erschütterte. Heute, in Zeiten von Trump, Kurz und dem Konzept der „alternativen Wahrheit“, muten die historischen Ereignisse an wie ein Menetekel des Kommenden. Beckermann kombiniert ihre eigenen Video-Aufnahmen, in denen sie Streitgespräche mit völlig enthemmten Passanten filmt, mit internationalen Archiv-Aufnahmen und News-Footage dieser Tage. Obwohl die Fassungslosigkeit über die Leugnung der Tatsachen deutlich zu spüren ist, bleibt ihr subjektiv-analytischer Kommentar immer kontrolliert und ausgewogen – eine bewußte Distanzierung von den geifernden Wutbürgern, die sie mit der Kamera begleitet.

Für die Grand Dame des österreichischen Films, die im Herbst bei DOK Leipzig als Ehrengast erwartet wird, geht es eben nicht nur um die Geschichte Waldheims, sondern um die grundsätzliche und hochaktuelle Frage, wie man Populismus, Wirklichkeitsverdrehung und Hetze wirksam begegnen kann.

Anders als Michael Moore, dessen neuer Anti-Trump-Film demnächst ebenfalls in die Kinos kommt, ist Ruth Beckermann niemand, der Feuer mit noch mehr Feuer bekämpft. Sie beschränkt sich darauf, einen klaren, festen Wasserstrahl auf das Inferno zu richten und überläßt es den Zuschauern, zum Löschen eine eng besetzte Kette zu bilden.

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.