CH 2020, 112 min
FSK 0
Verleih: X Verleih

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Agnieszka Grochowska, Marthe Keller, André Jung, Birgit Minichmayr, Jacob Matschenz

Regie: Bettina Oberli

Kinostart: 27.01.22

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Wanda, mein Wunder

Familie und andere Grausamkeiten

Kapitel 1: „Wir hatten unsere Zeit …“ spricht Elsa zu Wanda, polnische Pflegerin des Gatten, kurz nachdem sie – erfolglos, haha! – versucht hat, die unentbehrliche Jetzt-auch-noch-Haushaltshilfe finanziell über eins der teuren Möbel ihrer Villa zu zerren. Im Gegensatz zum kommenden Rest wurde so subtil definiert, was da die Villa am See durchwabert; Einsamkeit nämlich, das Erinnern an vergangene Zeiten.

Regisseurin Bettina Oberli schaut indes kaum genauer hin, kommandiert ein kompaktes Regiment in ihrer Überzeichnung unscharfer Charaktere beim unablässigen Abfeuern sicher gut giftiger, trotzdem allesamt zu bekannter Pfeile: Der Sohn, zum väterlichen Firmenführungsnachfolger bestimmt, ahmt lieber Vogelstimmen nach und umgibt sich mit ausgestopftem Federvieh, während die vom Ehrgeiz zerfressene Tochter stets Verbissenheitsmimik trägt, Elsas melancholische Schübe neigen derweil zur Realitätsflucht. Wanda schließlich, ganz selbstverständlich alleinerziehend, hat zwei Kinder zu versorgen, leidet unter rassistischen Attacken und sieht nur in der totalen Objektivierung einen Weg, irgendwann der Ausbeutung zu entgehen – sie prostituiert sich. Oberli gibt alles und viel mehr, zumindest spielt das Ensemble jene Klischeefiguren wahrhaft hinreißend (Marthe Keller! Birgit Minichmayr!).

„Scheiße, ist das alles scheiße!“ Recht Deutliches tönt aus Kapitel 2, welches eine rasante Steigerung hinlegt, sich wild entschlossen am Grotesken reibt, einige Hitze und finstere Oneliner draus zieht. Kleine und große Wunder geschehen, teils hörenswert aufgepeppte Oldies ersetzen das bisher am Nerv zerrende und manchen Dialog gnadenlos wegklimpernde Klavier, lediglich die abgenutzten Inszenierungsfinten, das Hingeschriebene bleiben: Möglichst detailliert erklärt uns das Ensemble, was man voneinander hält, ach was, schon lange hielt, Ohrfeigen folgt der schockiert aufgerissene Mund, dem Aggressionsabbau dient eine Axt.

Kapitel 3 täuscht dann zunächst Harmonie vor, bis eine Frage direkt ins Innere trifft: „Gibt es mich überhaupt noch?“ Daß Oberli in ihren Mitteln wenig Bescheidenheit übt, hat man mittlerweile akzeptiert, findet darin nun allerdings überraschende Momente der Zurücknahme, gar echter Emotion. Weshalb dieses auf schiere Überwältigung ausgerichtete Manöver zur Befreiung aus der Fremdbestimmung letztlich doch als geglückt gelten darf.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...