Soziologen wissen: Der heutige Fernsehkonsument nimmt Berichte aus Kriegsgebieten wahr, indem er sie mit der Bierbüchse in der einen, das Knie der gelangweilt strickenden Angetrauten in der anderen Hand einfach wegzappt. Auf dem nächsten Kanal läuft doch bestimmt eine Grins-Dich-zum-Gewinn-Show! Zynisch? Gar plakativ? Man fasse sich an die eigene Nase.
Blende: eine alte Frau, fassungslos weinend in den Ruinen ihres Hauses stehend. Klick. Ein kleiner Junge ohne Beine im Krankenhausbett. Klick. Eine andere Frau, schreiend, der man den toten Körper ihres Sohnes bringt. Klick. Ein Mann, förmlich zum Skelett abgemagert. Klick.
James Nachtwey macht wahrhaft keine Urlaubsbilder, er fotografiert den Krieg in seinem ganzen Ausmaß, fixiert Horror, Entsetzen, Grauen. Furcht vor Verletzungen, Krankheiten, dem Tod? Er streitet sie nicht ab, erklärt in seiner ruhigen Art die Wichtigkeit, damit umzugehen. Dieser Mann hat, wie eine befreundete Redakteurin urteilt, "seine eigene Bibliothek des Leidens im Kopf", ist dabei nicht auf der Suche nach der Sensation, dem "besten" Schnappschuß. Im Gegenteil: Ihn quält die Angst, vom Elend dieser Menschen zu profitieren, erträglich nur durch den Glauben, die Welt wolle aufgerüttelt werden, irgendwann könne eines seiner Fotos den Krieg beenden. Beides verfolgt ihn, zwingt ihn dazu, sich immer wieder mitten in unerträgliche Greuel zu werfen; so tief, daß es dem Zuschauer bzw. Betrachter weh tut.
Im Rahmen einer Ausstellung seines Werkes meint Nachtwey: "Ich habe nichts mehr zu sagen" – dies ist auch nicht nötig; das Schweigen seiner Bilder könnte durchdringender nicht sein. Man tritt aus dem Kino, und jedes Gespräch klingt eine Spur zu laut, jedes Lachen etwas zu schrill. So bleibt am Ende Stille. In ihr ein resigniertes Heben der Mundwinkel, die bittere Parodie eines müden Lächelns, denn man ahnt: James Nachtwey ist der Don Quijote unserer Zeit. Ein echter Held und Idealist, doch völlig chancenlos gegen die Windmühlen, deren Flügel sich aus Gier, Politik und fanatischer Religion bilden.
Originaltitel: WAR PHOTOGRAPHER
CH 2001, 96 min
Verleih: Kool
Genre: Dokumentation
Regie: Christian Frei
Kinostart: 11.07.02
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...