Hans Christian Schmid zählt spätestens nach seinen letzten beiden ausgezeichneten Werken REQUIEM und STURM zu den großen deutschen Kino-Regisseuren. Ob Komödie, Exorzismusdrama oder Politthriller – Schmid pariert als Alleskönner, und sein bisheriges Oeuvre ist, was Sujet und Genre angeht, bunt durchmischt. Auf der diesjährigen Berlinale durfte man deshalb gespannt sein, welche Richtung der vielseitige Filmemacher mit seinem neuesten Werk einschlägt. Und er hat mal wieder einige überrascht, indem nach dem großen politischen Konflikt in STURM sich nun den privaten Spannungen einer gutbürgerlichen Familie zuwendet.
Der in Berlin lebende Autor Marko fährt mit seinem kleinen Sohn zum Familienwochenende in die westdeutsche Provinz. Von seiner gescheiterten Ehe mag er seinen Eltern sowie seinem Bruder und dessen neuer Freundin nichts erzählen. Überhaupt scheint das Aus- oder Anpacken schwelender Probleme nicht die Stärke der Familie. Man ißt lieber gemütlich zusammen im prachtvollen Garten der Vorort-Villa und blickt auf die Sonnenseite des Wohlstandslebens. Doch die Krampfharmonie wird aufgebrochen, als Mutter Gitte verkündet, daß sie ihre Antidepressiva, die sie seit Jahrzehnten nimmt, einfach abgesetzt hat. Und schon bald fliegt allen Figuren der Staub um die Ohren, den man jahrelang fein unter den Teppich kehrte. Als im Wust der aufgebrochenen Gefühle Gitte plötzlich verschwindet, kommt es zum Eklat zwischen Vater Günter und seinen Söhnen.
Die aalglatte Fassade dieser vermeintlichen Vorzeigefamilie findet in Schmids Inszenierung seine Entsprechung. Das mag man Konsequenz oder Präzision nennen, was diese Abbildung von Biederkeit in biederen Bildern aber vermissen läßt, ist Reibung. Die fehlt trotz allen Konfliktpotentials auch zwischen den Figuren. Da kann es noch so sehr verbal zur Sache gehen, alles bleibt unter der Fuchtel der Vernunft und damit im Bereich des Kontrollierbaren. Schmid bleibt Könner und ist mit seinen Zustandsaufnahmen nah am Leben, schafft eine präzise Beschreibung eines Generationsproblems der Thirtysomethings, die bei ihren freigeistigen Alt-68er-Eltern wenig zum Rebellieren haben.
Was bleibt, ist also der Eindruck einer durchaus gelungenen Studie. Aber leider kein richtig bewegender Film.
D 2012, 85 min
FSK 12
Verleih: Pandora
Genre: Drama, Familiensaga
Darsteller: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Ernst Stötzner, Sebastian Zimmler
Regie: Hans-Christian Schmid
Kinostart: 06.09.12
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...