Anna gehört zu den eher privilegierten Menschen mit festem Job, netter Familie, guten Freunden und einer ungeachtet aller sich manchmal einschleichenden Langeweile – dekoriert durch eine angemessen triste Farbgebung – funktionstüchtigen Beziehung. Möglicherweise ist es also reiner Überdruß, daß die junge Frau ganz spontan eine Affäre beginnt. Anfangs pure Leidenschaft rein körperlicher Natur, treten wie erwartet schnell Probleme auf, Lügen dominieren zunehmend den Alltag, zumal Galan Domenico über Frau und Kinder verfügt. Und irgendwann muß sich Anna zwangsläufig fragen, was sie eigentlich will – vom Leben, ihrem Freund, dieser verbotenen Liebe. Eifersucht, Besitzansprüche, vielleicht gar Obsessionen lauern bereits hinter der schönen Stirn, und jetzt dürfen sie hervorbrechen.
Gewisse Erwartungen weckt die Tatsache, hier das neue Werk von BROT UND TULPEN-Regisseur Silvio Soldini zu sichten. Leider muß nach zwei Stunden konstatiert werden: Es folgt auf jedes Haben gleich ein Soll. Hauptdarstellerin Alba Rohrwacher verfügt über Talent und müht sich redlich, ihr fehlt indes das Besondere der Soldini-Damen Margherita Buy oder Licia Maglietta. Die Inszenierung verzichtet auf Mätzchen und bietet keine billigen Hollywood-Lösungen an – trotzdem passiert dabei insgesamt schlicht zu wenig, als daß man die gesamte Laufzeit lang gefesselt bliebe, gerade gegen Ende knirscht das magere Handlungsgerüst bedenklich im Mahlstrom der vergehenden Zeit. Anna und Domenico reiten sich nebst jeweiligen Partnern beklemmend ausweglos immer tiefer ins zwischenmenschliche Abseits, aber gleichzeitig geschieht dies derart emotionslos und kühl, daß sich beim Betrachter keine rechte Identifikation einstellen mag. Und so weiter.
Fast scheint es, als hätte Soldini Angst vor jeder Art von Gefühl gehabt, selbst Annas Geständnis gegenüber einer Kollegin wird so schnell wie folgenlos abgehandelt. Jederzeit geordnet geht hier also die private Welt zugrunde, obwohl sich der an Alberto Iglesias erinnernde Score möglichst melancholisch gibt, oder Soldinis Kniff, das Handy quasi zum heimlichen Protagonisten, zum Inbegriff von Schuld, Heimlichkeit, Verrat und Verlangen zu stilisieren, theoretisch sehr wirksam sein könnte. Im Fazit steht zwar dennoch beileibe kein Komplettreinfall, doch ein Kunstprodukt, an dessen geeister Oberfläche man häufig abzurutschen droht.
Originaltitel: COSA VOGLIO DI PIÙ
I/CH 2010, 121 min
FSK 12
Verleih: Alamode
Genre: Drama, Liebe
Darsteller: Alba Rohrwacher, Pierfrancesco Favino, Giuseppe Battiston, Teresa Saponangelo, Monica Nappo
Regie: Silvio Soldini
Kinostart: 09.12.10
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...