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We Need To Talk About Kevin

Mein Kind, das Monster

Die Frage, wie das Böse in die Welt kam, ist so alt wie der Mensch, aber die Antwort darauf wird immer wieder neu gesucht. Wann immer man eine dieser entsetzlichen Nachrichten hört, in denen Menschen unvorstellbar Grausames tun, taucht sie auf, wenn auch in möglichst integer-investigativem Gewand. Auf der Suche nach Antworten sind die einfachen Lösungsansätze meist die Favoriten, kann man sie doch im Gegensatz zur Tat tatsächlich verstehen: schwere Kindheit, gewalttätiges Umfeld, labile Psyche ... So einfach macht es sich WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN nicht, wenn er den Zuschauer auf den ultimativen Eltern-Horrortrip mitnimmt, und ihn in die Psyche der Mutter eines Amokläufers eintauchen läßt. Dieser Film macht es niemandem einfach, dem Zuschauer am allerwenigsten.

Eva, eine lebensfrohe Reisejournalistin, muß für die Geburt ihres ersten Kindes ihre große Leidenschaft des Weltenbummelns aufgeben. Die Beziehung zu ihrem Sohn Kevin ist so von Beginn an überschattet. Schon als Kleinkind zeigt der Junge eine eigenwillige Distanz und macht es ihr schwer, Nähe aufzubauen. Während ihr Mann Franklin nachts Ungewöhnliches an Kevin bemerken will, wird Eva immer besorgter über die mangelnde Empathie und Zerstörungslust ihres Sohnes. Auch nach der Geburt seines Schwesterchens ändert sich nichts an Kevins Zurückgezogenheit, ein Umzug aufs Land ebensowenig. Je älter Kevin wird, desto intelligenter, perfider und bedrohlicher ist er. Aber Evas Hoffnung, doch noch irgendwie zu ihm durchzudringen, erlischt nicht. Selbst dann nicht, als die schreckliche Katastrophe ihren Lauf genommen hat.

Regisseurin Lynne Ramsay bewies schon in ihren vorherigen Dramen RATCATCHER und MORVERN CALLAR ihr Talent für visuell eindrucksvolles Charakterkino. Mit diesem Film springt sie gekonnt zwischen Familiendrama und Psychohorror hin und her, entläßt den Betrachter keine Minute aus der Marter dieses Familienschicksals. Die grandiose Tilda Swinton gibt dieser schwierigen Figur, die so viel einstecken muß, die nötige Stärke und Menschlichkeit, so daß man bis zum Schluß bei ihr bleibt.

Ein Film, der sich dahin wagt, wo es so richtig weh tut, und der bewußt streitbar ist, weil er den bohrenden Fragen nicht ausweicht und Antworten liefert, ohne sich anzumaßen, „die Antwort“ zu haben. Denn daß derartige Dinge immer unerklärlich bleiben werden, darauf muß wohl jeder selbst kommen.

Originaltitel: WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN

GB 2011, 110 min
FSK 16
Verleih: Fugu

Genre: Drama

Darsteller: Tilda Swinton, John C. Reilly, Jasper Newell

Regie: Lynne Ramsay

Kinostart: 16.08.12

[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...