D 2019, 93 min
FSK 0
Verleih: Contract99
Genre: Dokumentation
Regie: Dirk Lienig, Dirk Heth, Olaf Winkler
Kinostart: 06.02.20
Das mit dem „zügig gehen“ hat in Hoyerswerda mehrfache Bedeutung. Ab der 90er Jahre hat sich die Zahl der dort Lebenden um die Hälfte reduziert. Das, was die DDR zum Prosperieren trieb, mit manchmal zwei neu gebauten Schulen pro Jahr, Wohnblöcken satt und dem Strecken der weitläufigen Kohletagebaue, kam nach 1989 ins Versacken. Jenen, die blieben, sah man ihre Entscheidung an, sagten die Wenigen, die kamen.
Doch Hoyerswerda lebt. Ansonsten könnte es nicht tanzen. Dirk Lienig, Jahrgang 1970, ging in seine Heimat zurück, um das, was ihm einst zum Beruf wurde, mit Bürgern zu tun, die mit ihren Kinderträumen auf halber Strecke liegengeblieben sind. Nicht alle, aber viele. Der einstige Ballettänzer, Choreograph und Regisseur, der in Leipzig studierte, hat an der Kulturfabrik in Hoywoy eine Tanzkompanie ins Leben gerufen, die seit 2010 sechs Inszenierungen auf die Bühne brachte. Mit Menschen von 7 bis 70, Frauen, Kindern, Männern. Für WENN WIR ERST TANZEN stand die Proben- und Aufführungsarbeit zu Strawinskys „Le Sacre du printemps“ im Mittelpunkt. Filmisch aber wird der Bogen größer.
Lienig arbeitet auch für das Stück dokumentarisch. Er filmt Tänzerinnen und Tänzer in Gesprächssequenzen, in denen sie über sich und Zwischenstände auf dem Weg ins Morgen sprechen: intensiv, berührend, echt und im guten Sinne greifbar. Die Szenen werden zum „Sacre“-Bestandteil im ehemaligen Centrum-Warenhaus. Das programmatische Stück über eine Aufopferung ertrinkt nicht in Metaphern, die Tänzerinnen und Tänzer werden sich nach und nach ihrer eigenen Stärke und Kraft bewußt. Und trauen sich, „... zügig zu gehen.“
WENN WIR ERST TANZEN ist, so simpel es klingen mag, schön anzuschauen. Dirk Lienig, Dirk Heth und Olaf Winkler verwenden straff geschnittenes Archivmaterial, um Nicht-Hoyerswerdaern ein Bild der Stadt zu bringen. Lienig selbst ins Bild zu setzen, hat hier kein Geschmäckle, denn die ausgewählten Protagonisten der Kompanie mit ihren spannenden Biographien dominieren: Silke, die Ärztin, Angela, die endlich gekündigt hat, Ergo-Janina mit den Brüchen, Dorit, die Lienig-Schwester, Olaf, der in die Ferne fuhr und seine Frau verlor, Martin, der das Licht in Hoywoy erblickte, als das zügige Weggehen begann. Hoyerswerdas Kultur hatte einst Brigitte Reimann und Gerhard Gundermann. Noch wichtiger ist, was sie hat. Keine Gründe jedenfalls, sich verschämt zu verstecken.
[ Andreas Körner ]