Wahrscheinlich hat es echt Sinn, daß der Autor dieser Zeilen bislang von Sibylle Bergs Werk unberührt durchs Leben wandelte, erlaubt dies doch einen frischen, jungfräulichen Blick auf jene Dame, welche – wie zu hören ist – nicht nur stark polarisiert, sondern überdies bestimmte Männer in Furcht versetzt. So wäre schon das titelgebende Mysterium gelüftet.
Okay, manchen Kerl vermag sie angeblich zu schrecken. Woran liegt’s? Optische Gründe liegen keine vor, Frau Berg kann man gefahrlos auch mal nachts im Wald begegnen, ganz im Gegensatz zu den ihrerseits beobachteten „Ugly Boys“, was Schriftsteller meint, denen es trotz erschütternder Häßlichkeit auf Lesetouren gelingt, jeden Abend Kulturgroupies abzuschleppen. Und schon poppen Verdachtsmomente auf: Hat Berg vielleicht eine Weltsicht, welche dem gängigen XY-Chromosomenträger quer in die Parade fährt?
Ja, sie hat. Ihr vorwitziges Verbalorgan enthüllt völlig unverhohlen hohe Abneigung gegen Max Frisch und Thomas Mann, kauderwelscht zwanglos die aktuelle Klamottage zusammen („I Have His Hose On Me“) oder übernimmt forsch den Job der beiden Regisseurinnen: „So, was können wir denn noch besprechen?“ Das Duo hinter der Kamera muß oft richtig fix laufen, um dem rasanten Tempo seiner Protagonistin zu folgen, meistert die Herausforderung allerdings ziemlich bravourös und findet trotzdem eigene Ausdrucksformen. Dann erfreuen beispielsweise (manchmal hinterlistig abrupt abgewürgte) klassische Klänge, und höchstes Lob gesprochen sei für die Idee der Untertitelung einer deutschen Schriftstellerin. Einer Bestsellerautorin, der glitzeriger Glamour oder Arroganz abgehen, die sich und andere ständig hinterfragt, sarkastisch, treffend. Hier und dort kommt außerdem deutlich das Angeschossene durch, eine latente Traurigkeit, wie sie viele Menschen besitzen mögen – nur wenigen darunter gelingt es indes, sie derart punktgenau, feingeistig und nicht larmoyant in kurzen Gefühlssprenkeln zu verpacken. Andererseits wundert solches Talent nun nicht, schließlich schafft es Berg ohne bemerkbare Mühe, sogar beim eingeforderten Spontanspagat in direkter Nähe eines ausgestopften Bären würdevoll auszusehen. Das macht so schnell wohl niemand nach.
Angst vor Sibylle Berg war daher nie der Motor vorliegenden Textes, in dessen persönlichem Fazit die Freude auf weitere Beschäftigung mit dem Bergschen Œuvre steht ...
D 2015, 84 min
Verleih: Zorro
Genre: Dokumentation, Biographie
Regie: Wiltrud Baier, Sigrun Köhler
Kinostart: 28.04.16
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...