D 2017, 94 min
FSK 6
Verleih: Alamode
Genre: Roadmovie, Tragikomödie
Darsteller: Corinna Harfouch, Karl Kranzkowski, Meret Becker, Sabine Timoteo, Bruno Cathomas, Annalee Ranft
Regie: Kerstin Polte
Kinostart: 03.05.18
Mit Charlotte stimmt was nicht. Sicher, die Liebe zu ihrem Paul hat sich nach fast 40 Jahren Ehe ein bißchen verbraucht. Aber den Gatten einfach an der Tankstelle zu vergessen? Und, als er ihr wieder einfällt, nicht etwa umzukehren, sondern stattdessen weiterzufahren? Nein, Charlottes Familie, ihr Mann, ihre erwachsene Tochter Alex stehen nach den eingeübten, aber immerhin verläßlichen Reibereien vor einem Rätsel von Frau. Früher wäre sie sofort umgedreht, wenn sie ihre ausgebüxte Enkelin samt Katzenleiche im Versteck auf der Autorückbank gefunden hätte. Früher hätte sie nicht einmal daran gedacht, die Reise zum Meer trotzdem fortzusetzen. Doch dieser Arztbrief in Charlottes Tasche ändert alles.
Kerstin Poltes Spielfilmdebüt ist eines dieser Roadmovies, in denen viel gefahren und gelaufen wird, um schließlich alle bei sich selbst ankommen zu lassen. So bringt Charlottes unvermittelter Aufbruch auch den Rest der Familie in Bewegung – in Fahrschul- und Polizeiautos, im Truck einer Lastkraftwagenfahrerin, die sich für Wolkenformationen interessiert, bei Vater-Tochter-Querfeldeinmärschen, auf denen endlich so etwas wie ein Gespräch entsteht. Richtig, der Umweg ist das Ziel. Aber die Umwegig-, ja Abwegigkeit, mit der Polte ihre kollektive Selbstfindungstragikomödie vorantreibt, steht sich oft genug selbst auf den Füßen. Denn was hier vordergründig zum Meer zu streben scheint, will eigentlich mit aller Macht zum Mehr: an Bedeutung.
In diesem Drehbuch, in diesen wie von der Theaterrampe gesprochenen Dialogen, in diesen aneinandergereihten Unwahrscheinlichkeiten ist so viel Anstrengung um heiter-melancholische Verquerheit, daß man die Mitarbeit bisweilen aus purer Erschöpfung einstellen möchte. Zum Beispiel an der Gottwerdung dieser kathartisch gemeinten Großmetapher, die Herr Horster heißt und eine Pension zu betreiben vorgibt. Zum Beispiel am tieferen Sinn der prätentiösen Vintage-Szenenausstattung. Zum Beispiel an den Wolkengebilden, die ganz bestimmt ganz viel meinen, aber den poetischen Mund nicht aufkriegen. Zum Beispiel am Mehrwert einer ausgestellten Naivität im Zeigen und Erzählen, die einem gehörig auf den Wecker gehen kann. Zeichen und Zeiger stehen auf kurz vor Zwölf. Verstanden! Worauf aber steht dieser Film? Zunächst und vor allem auf die eigene, mit Anlauf ausgeführte Verrücktheit.
[ Sylvia Görke ]