Einen lupenreinen Woody Allen, so im puristischen Sinne einer mustergültigen Komödie und dem Regelwerk dieses Ausnahmekomödianten verpflichtet – den kriegt man eigentlich nur, wenn Allen selbst drin ist, wo Allen drauf steht. Doch mittlerweile verzieht sich der Regiekauz komplett hinter die Kamera, vielleicht mag er sich einfach mit fast Mitte 70 nicht mehr auf der Leinwand sehen, vielleicht ist er gar zu klapprig. Was aber eben über die Qualität seines neuesten Films so rein gar nichts sagt: Das ist kein Allen-loses Klappergestell, das ist ein Woody reinster Güte – auch weil Allen im Prinzip doch dabei ist. Über einen Kunstgriff, der hier Boris Yellnikoff heißt und ein waschechtes Alter Ego des geschätzten Meisters ist.
Dieser Yellnikoff ist ein Intellektueller, der den Glauben an das Gute verloren hat. Und holt daher sofort zum Rundumschlag aus: Die Menschheit sei verkommen, ständig dieses stumpfsinnige Verzehren von Obst und Gemüse, die Fettsäurehysterie schlägt ihm schwer auf den Magen, selbst das Kinopublikum taugt nix mehr, nur noch Popcornfresser und Neandertaler mit offenem Mund macht er aus, und überhaupt hat sich der gesamte Marxismus gehörig geirrt – setzt er doch voraus, daß wir Menschen von Grund auf anständig sind. Ui! Herrlich! Was für ein Auftakt! Welch’ unausschlagbare Einladung, einem Misanthropen nun für anderthalbe Stunden auf dem Weg zur Besserung zu folgen. So etwas kann nur Woody Allen, mit viel Text, extremer Spracheffizienz, kauzigen Typen und wunderbaren Schlägen in die Magengrube. Denn daß da trotz aller Komik jemand Wut auf dieses merkwürdige Land Amerika hat, ist unverkennbar: Seine eigene Bande attackiert Yellnikoff als reich, blöd, rassistisch, verklemmt.
Und erst die Ärzte – allesamt Kurpfuscher, selbstverständlich habe er Magengeschwüre, die Idioten finden nur nix. Im Ernst: Jeder Mückenstich gerät bei ihm unverzüglich in akuten Melanom-Verdacht, klassische Allensche Hypochondrie also. So eine Type, die sich da Allen erdacht, die er aus eigenen Phobien herausgeschrieben hat, ist ein Glücksfall für das Kino, in dem es letztens in der Tat nur wenig zu lachen gab. Allen hält den Glauben an das Gute aufrecht – über Umwege, über kaputte, gerade deshalb liebenswürdige Typen. Er führt diesen schrulligen Boris zu neuer Gelassenheit, zu neuer Schwärmerei für das Landei Melody und dann zu alter Liebe. All das gerät ihm zu einem urkomischen, herzrührenden, ja sogar romantischen Film.
Und einmal mehr treibt Allen seinen wunderbaren jüdischen Humor auf die Spitze und die orthodoxen Gebetsbrüder zur Weißglut: Als Melodys aufgedrehte Mutter sich einfach nur prächtig amüsieren will, schickt Boris sie ins Holocaust-Museum ...
Originaltitel: WHATEVER WORKS
USA 2009, 92 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch
Genre: Komödie
Darsteller: Larry David, Evan Rachel Wood, Patricia Clarkson
Regie: Woody Allen
Kinostart: 03.12.09
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.