Michael Moore ist zurück. Der notorische Kritiker des konservativen US-amerikanischen Neoliberalismus hat mit WHERE TO INVADE NEXT einen Film vorgelegt, der eher Polit-Comedy als Dokumentarfilm ist. Ist schon ein wenig schade, daß die Mooresche Selbstwahrnehmung so selten hinterfragt wird. Jenseits definitorischer Unschärfen ist der Film aber durchaus unterhaltsam geraten und kann sogar leichte Anflüge von Optimismus hervorrufen.
Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt. Amerika steht am Abgrund – Bildungs- und Gesundheitssystem, aber auch Infrastruktur und Lebensqualität tendieren gen Null. Schließlich treffen die Generäle in den Washingtoner Hinterzimmern, so die augenzwinkernde Story, die Entscheidung, daß hier nur noch einer helfen kann: Michael Moore! Der schwergewichtige Regisseur soll als eine Art Ein-Mann-Armee europäische Länder erobern und dabei all das, was Amerika fehlt, plündern und nach Hause bringen. Also reißt er sich in Italien („Wo jeder aussieht, als hätte er gerade Sex gehabt!“) die Idee bezahlter Urlaubstage unter den Nagel, kopiert in Finnland das fortschrittliche Bildungssystem und läßt sich in Frankreich von den Drei-Gänge-Menüs der Schulkantinen inspirieren (nicht ohne den plumpen Versuch zu starten, die fassungslosen französischen Grundschüler mit einer Dose Coke vom rechten Weg abzubringen).
In Norwegen bestaunt er das liberale Strafrecht, und in Deutschland feiert er das Gesundheitssystem als Non-Plus-Ultra. Außerdem begeistert ihn die unermüdliche politische Bildungsarbeit, mit der an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnert wird. Spätestens an diesem Punkt bekommt Moores kritiklose Jubelei einen schalen Beigeschmack, übersieht er doch geflissentlich unschöne Tatsachen wie das deutliche Erstarken rechtsradikaler Strukturen (siehe NSU-Skandal) im letzten Jahrzehnt.
Tatsächlich hat Moores Scheuklappen-Taktik aber System: Die filmische Plünderung lebt davon, daß er nur fokussiert, was er durch die rosa Eroberer-Brille sehen will. Zweifel werden großzügig unter den Teppich gekehrt. Durch diese radikale Simplifizierung gelingt ihm ein ungewohnt positiver Blick auf die europäische Gesellschaft. WHERE TO INVADE NEXT hat damit durchaus das Potential, eine Diskussion über gesellschaftspolitische Themen und Werte anzustoßen, die auch jenseits des Feuilletons gehört wird. Man sollte allerdings die Populismus-Sonnenbrille im Gepäck haben, um allzu große Vereinfachungen großzügig übersehen zu können.
Originaltitel: WHERE TO INVADE NEXT
USA 2015, 110 min
FSK 12
Verleih: Falcom
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Michael Moore
Drehbuch: Michael Moore
Kinostart: 25.02.16
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.