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White Box

Sensibler Dokfilm über leere Zimmer

Hartz IV bescherte der sächsischen Kleinstadt Löbau einen kurzen Augenblick zweifelhaften Ruhms. Und das nur, weil die Verwaltung eine bürokratische Maßnahme „kreativ“ umgesetzt hatte. In Löbau wurde Hartz IV-Empfängern, deren Wohnungen gemäß der neuen Sozialgesetzgebung zu groß waren, kurzerhand ein Zimmer gesperrt. Statt sie zum Umzug zu zwingen, wurde einfach ein neuer Mietvertrag mit deutlich verminderter Wohnfläche gemacht.

Eine pragmatische Lösung, die in Löbau schnell zur Normalität wurde, anderswo aber auf Unverständnis und Empörung stieß und die TV-Teams in Scharen in die kleine Stadt lockte. Nach einigen alarmierenden Kurzberichten im schrillen Ton der Yellow-Press ließ die Aufmerksamkeit nach. Zurück blieben die leeren Zimmer und ihre Bewohner, die sich fragten, wie sie mit den wohnungsinternen Sperrzonen nun umgehen sollten.

Die gleiche Frage stellte sich die Leipziger Filmemacherin Susanne Schulz. Für sie waren die leeren Zimmer eine perfekte Projektionsfläche für die verlorenen Träume all derer, die in die Hartz IV-Spirale geraten waren. Sie ging nach Löbau, um ihren ersten langen Film zu drehen, lernte die Menschen kennen und stellte überrascht fest, daß viele ihre Situation ganz anders bewerteten, als sie es erwartet hatte. Je genauer sie hinschaute, desto weniger stimmten die großen Metaphern, mit denen sie sich selbst die Lage erklärt hatte.

Man merkt WHITE BOX an, daß seine Regisseurin sich die Mühe gemacht hat, genau hinzuschauen. Und wer wie Schulz genau hinschaut, dem kann nicht verborgen bleiben, daß der eigene Standpunkt, die eigene Perspektive jedes einzelne Bild prägen. An diesem Punkt entscheiden sich viele Filmemacher lieber für eine schön fotografierte Totale als für die Mühen der Nahaufnahme. Susanne Schulz entschied sich, tiefer zu bohren. Und plötzlich ist sie nicht mehr die unangreifbare Regisseurin hinter der Kamera, sondern bringt ihre eigene prekäre Lebenssituation als Nachwuchskünstlerin ins Spiel, und genau da wird es spannend.

Durch diesen mutigen Twist wird aus einem stigmatisierenden Blick auf „typische“ Hartz IV-Empfänger eine spannende und durchaus bildgewaltige Auseinandersetzung mit dem, was als „neue Armut“ längst Realität ist – in Löbau und anderswo.

D 2010, 65 min
Verleih: Neufilm

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Susanne Schulz
Drehbuch: Susanne Schulz

Kinostart: 14.04.11

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.