Wie man hört, wachsen Liebe und Hingabe durch Abwesenheit. Steht im Umkehrschluß die Frage: Was geschieht bei Anwesenheit? Nun, beispielsweise das – Kay, Hausfrau um die 60, wirft sich ein neckisches Negligé über und besucht ihren Gatten Arnold. Getrennte Schlafzimmer erfordern den häuslichen Pilgergang. Aber nicht bloß das: Arnold identifiziert die unerwartete Annäherung zielsicher als Folge einer defekten Klimaanlage. Ja, so ist sie wohl, die Zweisamkeit nach 30 gemeinsamen Jahren. Kaum zu ändern.
Oder? Kay jedenfalls hat die Nase voll von der Zeitung am Frühstückstisch, dem Kabelanschluß als Geschenk zum Hochzeitstag, jenen Dingen eben, welche ihr tagtäglich zu beweisen scheinen, wie uninteressant und wenig begehrenswert sie für Arnold im Lauf der Zeit wurde. Folglich schleift Kay den Angetrauten nach Hope Springs; vielleicht kann das romantische Städtchen ja vergangene Gefühle neu beleben? Und mal unter uns – der dortige Paartherapeut soll eine wahre Wucht sein ...
Folgt glatt eine weitere Frage: Warum mag man das freiwillig sichten, obwohl live zu Hause eventuell ähnliche Verhältnisse herrschen, grundsätzlich nicht viel passiert, und der deutsche Titel eher nach Softerotik auf einem beliebigen Privatsender klingt? Tja, da wäre zunächst mal die wie gewohnt alles und jeden überstrahlende Meryl Streep als Kay. Hollywoods Vorzeigeveteranin weiß eben unverändert zu überraschen, schafft es trotz ihrer – gottlob sichtbaren und nicht durchs Huschen zum Schönheitschirurgen maskenmäßig verschandelten – Reife, wie ein verliebtes Mädchen zu strahlen, obwohl andererseits unter der Unbeschwertheit stets die Konflikte eines jetzt weitgehend routiniert miteinander verbrachten Lebens schlummern. Wobei das Drehbuch mitzieht und gern mal punktgenau umsetzbare Steilvorlagen liefert, wie diesen Gänsehautsatz: „I Might Be Less Lonely If I Were Alone.“
Scheidung als Alternative, als letzter Ausweg? Nun, dies widerspräche dem Komödiengedanken und dessen tatsächlich mehrheitlich locker-lustiger Umsetzung (der nächste Pluspunkt übrigens). Stattdessen gibt’s – Argument Nummer 3 – erfrischende Offenheit. Scheinbar ist endlich über den großen Teich gedrungen, daß a) Sex auch außerhalb Videotheken oder schummeriger Schuppen existiert, und b) Leidenschaft im Alter eben nicht aufzuhören hat, nur weil die Fortpflanzung ihren erfolgreichen Abschluß fand. Sprich: Streep beim Masturbieren, an Obst Fellatio übend oder es wenigstens versuchend, sich Tips aus einem schwulen Erotikratgeber holend, im Supermarkt versonnen die Wurstwaren streichelnd ... Alles grandios unverkrampft gemimt, dazu unpeinlich witzig bis wirklich rührend, für US-Verhältnisse aber halt schon fast Hardcore.
Braucht es da eigentlich wirklich einen abschließenden vierten Grund, sich mal wieder intelligent, dezent und herzenswarm unterhalten zu lassen? Okay, bitte – die letzte Szene vor dem Abspann. Liebevolle Ironie zum Ausklang, ein geschlossener Bogen und schöner Oneliner, welcher still verspricht: In dieser Ehe steckt immer noch beziehungsweise völlig neu emotionaler Sprengstoff. Recht so, weitermachen!
Originaltitel: HOPE SPRINGS
USA 2012, 100 min
FSK 6
Verleih: Wild Bunch
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Meryl Streep, Tommy Lee Jones, Steve Carell, Jean Smart, Marin Ireland
Regie: David Frankel
Kinostart: 27.09.12
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...