Originaltitel: OUISTREHAM

F 2021, 107 min
FSK 6
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Juliette Binoche, Héléne Lambert, Léa Carne

Regie: Emmanuel Carrère

Kinostart: 30.06.22

3 Bewertungen

Wie im echten Leben

Der Glanz der Unsichtbaren

Es wäre ein Leichtes, einfach nur eine Hymne auf Juliette Binoche anzustimmen, die umwerfend präsent, ambivalent und leichtfüßig natürlich die bekannte Schriftstellerin Marianne spielt, die für eine investigative Recherche in die Welt der Putzkolonnen eintaucht. Aber dieser „Fall“ von Film läßt eine fast karmische Fügung erahnen, hatte doch Florence Aubenas lange Zeit abgelehnt, daß ihr bereits 2010 unter dem Titel „Putze! Mein Leben im Dreck“ erschienenes Buch überhaupt verfilmt werden darf.

Binoche war das Thema jedoch ein Herzensanliegen, und irgendwann brachte Aubenas Emmanuel Carrère ins Gespräch, bisher eher selbst als Schriftsteller und Drehbuchautor bekannt. Diese Mischung der Zusammenarbeit ist letztendlich eine emotionale Wucht in Sachen Kinoerlebnis geworden. Auch, weil sich Carrère und Binoche entschieden haben, für alle weiteren Rollen Laien zu besetzen. Die Menschen in diesem Film wissen also sehr genau, was sie interpretieren.

So wie Christèle (kraftvoll: Hélène Lambert), alleinerziehende Mutter, die sich und ihre Jungs mit drei Jobs über Wasser hält. Gelacht und geflirtet wird trotzdem auf den Gängen der Passagierfähre, die sie mit den Kollegen jede Nacht reinigt. Es ist ein Knochenjob: 1,5 Minuten pro Bett, 60 Betten beziehen, die Toiletten schrubben, die Kabinen saugen. Alles im Akkord, denn die Fähre wird gleich wieder ablegen. Dann müssen die Putzfrauen und -männer verschwunden sein, unsichtbar für die Passagiere. Marianne freundet sich mit der nach außen eher ruppig erscheinenden Christèle an, fährt mit der Familie an den Strand, geht mit den Mädels aus und teilt die mitgebrachten Mixgetränke auf dem Parkplatz.

Aber Mariannes Freundschaft ist zweckgerichtet. Sie will darüber schreiben, was sie erlebt. Und dafür braucht sie das Vertrauen der Menschen, deren Leben sie zeigen will. Ihr Anliegen ist, die tiefen Gräben zwischen denen darzustellen, die täglich im Dreck wühlen und fast nicht davon leben können, und jenen, die sich Putzkräfte leisten, ohne groß darüber nachzudenken. Doch dann kommt der Zeitpunkt, an dem Marianne sich offenbaren und sich den Fragen der Frauen stellen muß, von denen sie wußte, daß sie sie irgendwann zurücklassen würde. Weil sie den Luxus der Wahl hat.

[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...