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Wilbur Wants To Kill Himself

Lachen mit den Lemmingen - Eine düstere Selbstmord-Komödie

Nach den Regeln der Dogma-Bewegung zu arbeiten, sei fast wie eine Diät, sagt Lone Scherfig. In ITALIENISCH FÜR ANFÄNGER war der knurrende Magen der Regisseurin nie zu hören - sie beherrschte die selbst auferlegten Beschränkungen, statt sich ihnen zu unterwerfen. Nun treibt sie der Hunger zurück in die Speisekammern des Filmemachens, zu Cinemascope-Bildern, reich bestrichen mit Musik, hinauf in die extremsten Gefühlslagen von düsterer Komik, süßer Tragik und einer großen Liebe zu dritt. Stolperten Scherfigs verquere Kopenhagener Sprachschüler noch durch sanftere Höhen und maßvollere Tiefen, so geht es hier, im schottischen Glasgow, zunächst um den fatalsten aller Lebensträume - den Tod.

Wilbur schluckt Tabletten, dreht das Gas auf, erhängt und ertränkt sich oder zerschneidet sich die Pulsadern - chronische Suizidalität, tausend und ein Versuch, dem Tod auf die Schippe zu springen. Doch Wilbur springt immer daneben und meist in die Therapiegruppe eines bemerkenswert nüchternen dänischen Psychiaters, der sich "The man they called Horst" nennen läßt, denn so heißt er nun mal. "Das hätte Sie umbringen können!" meint der Herr Doktor. "Das war die Idee." antwortet Wilbur. Man ist sich einig, daß der Lebensmüde umfassender Aufsicht bedarf, und ein ganzer Film sowie ein sanfter großer Bruder schicken sich an, dieses Leben zu retten - mit todesverachtendem Galgenhumor und grenzenloser Zuneigung.

Harbour nimmt den Bruder zu sich, in die Wohnung über dem alten, verräumten Buchladen der Familie, wo der Vater vor Kurzem starb. Wilbur müht sich weiter, aus dieser Welt zu kommen. Und dann erscheint ein zerbrechlicher, ungelenker Engel mit Kaugummi im Haar: Alice, die im Krankenhaus putzt und die liegengelassenen Bücher der Patienten verkauft, schneidet Wilbur im letzten Moment vom Strick unter der Decke. Harbour verliebt sich unsterblich in sie und den zweiten Engel dieser Geschichte, Alices kleine Tochter Mary. Hochzeit wird gemacht, die beiden ziehen ein. Doch auch Wilbur liebt Alice, und Harbour ist dem Tod viel näher, als sein Bruder es trotz aller Anstrengungen jemals sein wird.

Lone Scherfig hat eine kunstvolle, irgendwo zwischen Lakonik und Pathos liegende Naivität im Sprechen und Schauen wiederentdeckt, die aller Psychologie etwas lächerlich Hilfloses, jeder Ruppigkeit etwas Liebreizendes und dem todtraurigen Ende gar etwas Versöhnliches verleiht. Mit fast pathologischer Selbstverständlichkeit nehmen ihre Figuren die manchmal befremdlichen, manchmal anrührenden Eigenheiten der anderen hin. Vor dem schaurigen Hintergrund der komisch oder drastisch vorgetragenen Selbstmordversuche wandelt eine verrückte, ständig die Frisur wechselnde Krankenschwester namens Moira, läßt Wilbur sich lieber das Ohr ausschlecken, statt einen Kuß zu ertragen, kotzt Harbour auf Marys bisher einziger Geburtstagsparty inbrünstig auf das saubere Kleidchen eines sauberen Mädchens.

Seine kleinen Traurigkeiten kann man sich hier streicheln lassen, seine große Betrübtheit verlachen, und endlich Antwort bekommen auf die Frage, wie es ist, tot zu sein. "Weißes Licht oder so?" vermutet Mary. "Nein, es ist trübe wie Abwaschwasser." verrät Wilbur, und der muß es schließlich wissen.

Originaltitel: WILBUR BEGR SELVMORD

DK/GB/D 2002, 105 min
Verleih: Ottfilm

Genre: Tragikomödie, Liebe

Darsteller: Jamie Sives, Adrian Rawlins, Shirley Henderson

Stab:
Regie: Lone Scherfig
Drehbuch: Lone Scherfig, Anders Thomas Jensen

Kinostart: 18.09.03

[ Sylvia Görke ]