Originaltitel: WILD ROSE
GB 2019, 101 min
FSK 12
Verleih: Entertainment One
Genre: Drama, Musik
Darsteller: Jessie Buckley, Julie Walters, Sophie Okonodeo
Regie: Tom Harper
Kinostart: 12.12.19
Man weiß es ja, Sachen gibt’s, die gibt’s eigentlich nicht. Was natürlich kein Problem der Wirklichkeit ist, sondern eins der Begrenztheit menschlicher Vorstellungskraft. Aber mal ehrlich: Kann man sich vorstellen, daß es im trüben Glasgow irgendwen gibt, der leidenschaftlich Country hört? Oder gar spielt? Das fällt doch allein schon deshalb aus, weil ja Schottland nicht nur über seine ganz eigenen Traditionsspielwiesen verfügt, sondern darüber hinaus etwa auch in puncto Pop genug zu bieten hat, um nicht auch noch auf dieses durch und durch amerikanische Zeugs zurückgreifen zu müssen.
Nun, mit WILD ROSE kommt jetzt ein Film in die Kinos, der das Gegenteil beweist. Ein Film, der seinerseits wiederum eine Geschichte erzählt, die man so oder so ähnlich schon derart oft erzählt bekommen hat, daß man sich schlicht nicht vorstellen kann, daß das tatsächlich noch mal in irgendeiner Art unterhalten könnte. Aber wie es so ist mit den Sachen, die es eigentlich nicht gibt: WILD ROSE dürfte einer der bittersüßesten, lustigsten, warmherzigsten und darin unterhaltsamsten Filme der laufenden Saison sein. Mindestens.
Und dieser Film nun, er spielt in Glasgow, erzählt von Rose-Lynn Harlan (man achte auf den Nachnamen), einer Country-Sängerin; jung, ruppig und erfüllt von diesem großen Traum vom großen Erfolg. Einem in Übersee, in Nashville natürlich. Denn um Vorstellungskraft und Wirklichkeit grad mal kurz zu versöhnen: So richtig durchstarten läßt es sich dann doch nicht mit dieser Musik, da oben im trüben Glasgow. Daß Rose-Lynn gerade eben aus dem Knast entlassen wurde, macht es nicht einfacher. Ganz abgesehen von dem anderen Schmerzpunkt: Den zwei kleinen Kindern, die Rose-Lynn hat, und die ja zu Recht darauf warten, daß ihre Mutter endlich mal damit beginnt, sich um sie zu kümmern.
Tom Harper ist Glasgower, Country-Fan, Filmregisseur – und sein WILD ROSE eine große Liebeserklärung: an dieses Stadt, ihre Menschen, an diese Musik. Und an Rose-Lynn, diese herzzerreißend unverwüstliche junge Frau mit dem Wust bitterer Erfahrung auf den Schultern und dem Satz des großen Harlan Howard (man achte auf den Vornamen!) als Tattoo auf dem Unterarm: „Drei Akkorde und die Wahrheit!“ – das ist Country. Und weil das so ist, kann Rose-Lynn diese Songs so großartig singen. Und ja: weil sie die Stimme dafür hat, natürlich auch.
Davon, wie diese Stimme (sprich: Rose-Lynn) aufbegehrt, sich hoffnungsvoll aufschwingt, innerlich zu zerreißen droht, schließlich bitter verstummt, um dann doch noch ihren richtigen Ton (sprich: Weg) zu finden, erzählt Harper in jenem Gestus, der so unvergleichlich lässig das Komische mit dem Dramatischen austariert und das sozial Genaue (also die Wirklichkeit) in eine berührende Kinoüberhöhung zu kleiden weiß.
Fraglos eine Qualität des (und die Schotten mögen jetzt nachsichtig sein) britischen Kinos. Eine Qualität, die sich maßgeblich diesen Schauspielern verdankt. Hier natürlich vor allem Jessie Buckley (geboren in Killarney, Irland; aber das nur nebenher), die als Rose-Lynn eine Idealbesetzung ist. Auch in der Art, wie sie Sachen schafft, die eigentlich nicht zu schaffen sind. Und das meint jetzt nicht nur, wie sie diese saucoolen Cowboystiefel über ihre verdammte elektronische Fußfessel gezogen bekommt.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.