Originaltitel: RELATOS SALVAJES

Argentinien/Spanien 2014, 122 min
FSK 12
Verleih: Prokino

Genre: Episodenfilm, Schräg, Komödie

Darsteller: Ricardo Darín, Leonardo Sbaraglia, Dario Grandinetti, Erica Rivas, Julieta Zylberberg

Stab:
Regie: Damián Szifrón
Drehbuch: Damián Szifrón

Kinostart: 08.01.15

2 Bewertungen

Wild Tales

Irre komischer Wahnwitz in sechs Akten

Kennt das jüngere Publikum eigentlich noch die vor allem in den 80ern modernen Anthologiefilme? Also jene, welche voneinander komplett unabhängige Episoden vereinten, manchmal unter einem thematischen Dach, aber nicht immer? Ein solcher tritt nun mit WILD TALES an, um vielleicht sogar eine Renaissance einzuläuten – die Chancen dafür stehen bestens, wie auch Pedro Almodóvar erkannte und koproduzierte.

Was das einstige spanische Enfant terrible daran gereizt hat, ist offensichtlich, schließlich arbeitet Regisseur/Autor Damián Szifrón konsequent in dessen frühem Geist. Schrill, knallbunt, stets schön am Rande der Geschmacklosigkeit verortet und jede Sekunde ein Heidenspaß. Moral darf man gottlob allerdings keine erwarten, schließlich geht’s darum, wie Menschen selbige komplett über Bord werfen: Eine Gruppe Flugreisende stellt fest, daß alle einen bestimmten Menschen kennen, was fatale Folgen haben wird, selbst für ein unschuldiges Rentnerpaar. Dann identifiziert eine Imbißbedienung im einzigen Abendgast den Mann, auf dessen Konto der Selbstmord ihres Vaters geht – die resolute Köchin verordnet als Strafmaß Rattengift ... Wie sich zwei wechselseitig fehlverhaltende Autofahrer wörtlich mörderisch duellieren, schildert das nächste Segment, bevor ein braver Bürger nerviger Behördenwillkür einen Riegel vorschiebt. Episode 5 beschreibt die zynischen Folgen einer Fahrerflucht, und abschließend erfährt eine Braut quasi vor dem Altar vom Fremdgang des zukünftigen Gatten.

Sechs Geschichten also, in denen es schlicht und einfach jetzt mal reicht, man nicht mehr freundlich lächeln und winken will, wenn die allgegenwärtige Idiotie zu bunt leuchtende Blüten treibt. Kathartisches Ausrasten in seiner reinsten Form, entspanntes Überschnappen, bitterböse und saulustig. Das inszeniert Szifrón ohne erkennbaren Willen zur Gnade geradewegs auf den jeweiligen Siedepunkt hin, findet zwischendrin teilweise Bilder, deren Ansicht noch nie wirklich weit oben auf der Wunschliste stand (vor allem während der Auto-Story), und kitzelt nicht nur das Zwerchfell, sondern auch niedere Instinkte hervor. Was positiv verstanden sein will, denn mal richtig ehrlich: Wer wünschte sich nicht schon oft einen R-wie-Raketenwerfer-Knopf am Armaturenbrett, um auf grüne Ampeln zuschleichende Vordermänner locker von der Straße zu bomben? Oder hätte gern arrogante Bürohengste beziehungsweise -stuten auf diversen Ämtern in den lokalen Aktenvernichter gestopft? Eben!

Bevor das konkrete Ausleben solch’ verständlicher Phantasien nun aber vor Gericht endet, sollte WILD TALES zur Projektionsfläche dienen. Übrigens sogar für tiefenentspannte Menschen, denn Szifróns Detailverliebtheit funktioniert gleichsam abseits erwähnter Düstergedankenwelt. Weil er wunderbar die Waage zwischen nachtschwarzer Komik und entlarvender Tragik hält: Während beispielsweise die Fahrerflucht-Episode durchaus bitter und Wunden schlagend davon berichtet, wie leicht Geld aus einst unbescholtenen Seelen raffgierige Monster formen kann, setzen andere Teile des großen Ganzen vollkommen differierende Akzente. Wenn sich da eine perfekt ondulierte Braut zur von wirrem Haar gekrönten Psycho-Xanthippe mausert, oder hilfreiche Hände die widerlich-schnepfige Mutter des Bräutigams schwer angeschlagen wimmernd vom Parkett zerren, kocht der normalerweise doch eher zivilisiert stille Kinosaal zum Hexenkessel ausgelassen guter Laune hoch. Felsenfest versprochen!

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...