Idyllisch liegt das Heim der Rileys irgendwo in einem amerikanischen Vorort. Hausherrin Loïs läßt sich von ihrer Nachbarin gerade die Haare frisieren, eine weitere Besucherin verfehlt den Weg zur Toilette, landet im Kinderzimmer und fragt zurückgekehrt nach dem Alter des Sprößlings. Besagte Nachbarin erstarrt für den Bruchteil einer Sekunde, plappert dann weiter. Eine Spur zu laut. Etwas zu fröhlich. Denn Loïs’ Tochter ist tot. Autounfall.
Seither vergräbt sich die Endvierzigerin vor der Welt, geht nicht mehr raus. Gatte Doug hat sich in eine Affäre geflüchtet, weint manchmal heimlich in der Garage. Das Paar geht vorsichtig miteinander um, auf diese schrecklich höfliche Art, welche keinen Platz für Emotionen bietet, keine Ausbrüche, kein Ich. Die Ehe steht am Abgrund, Doug und Loïs sowieso, jeder für sich. Schon diese Exposition genügt, zwei Gefühlswelten mit wenigen Pinselstrichen klar zu umreißen, großartig und dem Rest der Handlung voraus. Auf einer Dienstreise trifft Doug nun die Stripperin und Zwangsnutte Mallory, fühlt sich dem qualmenden, fluchenden Mädel väterlich nah und nimmt sie unter seine Fittiche. Bringt das Loch von Wohnung auf Vordermann, hilft bei Streitigkeiten, ahndet Schimpfworte. Währenddessen lernt Loïs in einer rührenden Szene, wie man Auto fährt ...
Das gelingt nach wie vor still, ehrlich, ohne hollywoodeske Anhängsel, sogar das Ende bemüht sich um Realismus. Und ja, es bereitet Freude, dem Ensemble beim Arbeiten ins Gesicht zu sehen: James Gandolfini ist wie immer eine darstellerische Schwergewichtsklasse für sich, Melissa Leo untermauert nachdrücklich ihren Status als Neu-OSCAR-Gewinnerin, und selbst Kristen Stewart zeigt, daß sie weitaus mehr kann, als im TWILIGHT-Universum um die Bäume zu springen. Mit dem Versuch, das Maximum aus seiner Grundkonstellation zu kitzeln, driftet der Film jedoch in vorhersehbare bis bekannte Fahrwasser ab – natürlich werden die drei Protagonisten sich treffen. Selbstredend gelingt es Mallory, ihrer Quasi-Ersatzmutter Loïs neuen Mut zu schenken. Klar gibt es Standards à la „Trauernde und Ausreißerin nähern sich beim Kleiderkauf.“ Ein kleines bißchen mehr Originalität hätte kaum geschadet.
Wie es scheint, leidet also mittlerweile sogar das Independent-Kino unter Wiederholungsattacken. Andererseits: Im Gegensatz zu aufgewärmtem Mainstream schaut man trotzdem gerne zu.
Originaltitel: WELCOME TO THE RILEYS
GB/USA 2010, 110 min
Verleih: Arsenal
Genre: Tragikomödie, Poesie
Darsteller: James Gandolfini, Kristen Stewart, Melissa Leo
Regie: Jake Scott
Kinostart: 07.04.11
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...