Süden. Immer nur Süden. Ja, wir sind halt einfach gestrickt. Philippe und Julie bilden da keine Ausnahme. Dabei leben sie schon in der Provence, doch noch weiter in den Süden, der Sonne ein Stück näher und höher auf der Karriereleiter soll es gehen. An die Riviera will der emsige Postangestellte, auch auf Drängen der Gattin. "Wir werden glücklich sein in Cassis!", sagt - ums Tricksen nicht verlegen - Philippe, die Beförderung scheint schon in trockenen Tüchern. Doch den Behinderten gab er einfach nicht gut genug, der plexus de mensonges flog auf.
Und dennoch wird Philippe befördert. Nicht ganz nach dem Geschmack seiner Frau, denn die findet noch immer, daß man gute Leute in den Süden schickt. Er jedoch wird nach Bergues gesandt, wo mit Sicherheit keine Postbeamtenseele freiwillig hin will, wo es dunkel, kalt, geradezu lebensunwürdig zugehen soll. Mittenmang in den großen, schrecklichen, unbekannten Norden. Schon unterwegs - zu den klagenden Klängen des Brel-Klassikers "Le plat pays" - fährt es dem armen Philippe angstvoll in die Glieder. Polizisten winken ihn nach Geschwindigkeitsüberschreitungen mitleidvoll durch, als sie vom Ziel seiner Reise erfahren, der Regen peitscht auf die Windschutzscheibe, das Leben kann grausam sein. Kaum in dem Kaff angekommen macht er eine in die Knochen fahrende und für den Verlauf seiner Leidensgeschichte nicht unwesentliche Bekanntschaft: mit Antoine. Zuerst auf der Motorhaube, dann - da ein echter Sch’ti so schnell nicht totzukriegen scheint - in einer merkwürdigen Bude, in der Philippe vor Amtsantritt erstmal unterkommen soll. Philippe ist entsetzt, schaut sich angstvoll um, mehr als gucken bleibt ihm nicht, da er kaum ein Wort versteht. Sch’tis leben Sch’ti, Sch’tis sprechen Sch’ti. S- und Ch-Laute gibt es nicht, und so klingt ein spontanes "Ça va?" schon mal nach der deutschen Bildungsministerin. Und doch - nach Muffeleien, Zickereien und arroganter Skepsis - macht Philippe eine wunderbare Entdeckung: die Sch’tis sind herzensgute Typen, immer geradeaus, jederzeit trinkfest und selbst ihre Sprache wird irgendwann verständlich ...
Eine ganz und gar warmherzige Komödie, wie sie nur noch selten im Kino zu erleben ist, hat der Allrounder Dany Boon da gedreht. Mit allem, was dazu gehört: skurrile Typen, federleichtes Jonglieren mit augenzwinkernden Klischees, mit einem ganz herzlichem Verständnis für beide Seiten - die nordischen Sonderlinge und die überheblichen Südschnösel. Jeder kann von jedem lernen, ohne Diktat, einfach freien Herzens. Davon erzählt Boons auch berührender Film, und er tut dies wunderbar altmodisch! Er überzieht bewußt den Sprach- und Typenwitz, ohne jemals in die Klamaukhaftigkeit der 70er-Jahre-Lachstücke zu rutschen, vielmehr besticht er durch Charakterzeichnung und großes Gespür für Situationskomik. Und er schließt Bildungslücken. Auch unappetitliche. So ißt man gern Maroilles im Norden, am liebsten in den Kaffee geditscht. Was in Ordnung geht, wäre dies kein sehr alter und sehr übel riechender Stinkerkäse ...
Sogar bei der Musikauswahl scheint alles stimmig. Neben dem guten alten Brel darf der mildkämpferische Bachelet-Gassenhauer "Les corons" die Herzen beben lassen, und selbst ein Sch’tivi Wonder-Klassiker kommt zu Gehör. Einfach formidable!
Originaltitel: BIENVENUE CHEZ LES CH’TIS
F 2008, 106 min
FSK 0
Verleih: Prokino
Genre: Komödie
Darsteller: Kad Merad, Dany Boon, Zoé Felix, Stéphane Freiss
Regie: Dany Boon
Kinostart: 30.10.08
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.