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Wir beide

Zwei verborgene Leben

„Haben Sie ein Problem mit alten Lesben?“ Im Film wird diese Frage einem Immobilienhändler gestellt, der natürlich verneint. Ist es das potentielle Geschäft, das ihm zu entgleiten droht? Oder Toleranz? Akzeptanz? Nur zu gern will man es auch vom Kinopublikum wissen. Zum Glück legt der junge Regisseur Filippo Meneghetti sein Langdebüt WIR BEIDE mit erstaunlicher Sicherheit viel komplexer an, als daß es sich auf ein paar wenige Aspekte zwischen den Geschlechtern reduzieren ließe.

Zwei Wohnungen, zwei Türen mit Spion und Kettchen, das Treppenhaus, der Fahrstuhl – Madeleine und Nina, beide um die 70, leben nebeneinander und doch zusammen. Sie huschen gegenseitig in ihre Korridore, lesen, kochen, berühren sich. Im Bad stehen zwei Zahnbürsten. Sie sind ein Liebespaar. Eines, das weg will. Endlich! Frankreich adé, Rom, wir kommen, wer weiß, wie lange uns noch bleibt!

Wie lange es schon geht mit den beiden, liegt im Verborgenen und bleibt auch dort. Auf alle Fälle wohnen sie viel kürzere Zeit hier, als ihre Liebe dauert. Während Nina ohne Anhang ist, hat Madeleine Familie. Auf einem Geburtstagsessen mit Sohn, Tochter, Enkel will und muß sie sich nun Absolution für eine längst getroffene Entscheidung holen. Ihre Nina wartet darauf, sie hat es sich verdient. Doch da wäre zunächst mit einem Geheimnis aufzuräumen. Madeleine hatte gehofft, die Beine dieser Lüge wären länger. Schafft sie die Wahrheit ausgerechnet heute?

Was könnte eine längst erwachsene Tochter wohl mehr treffen? Das, was hinter dieser Wahrheit steckt, oder allein die Tatsache, daß die Mutter jahrelang geschwiegen hat? WIR BEIDE holt sich seine dramaturgischen Elemente von beiden Flanken. Und noch von vielen mehr. Denn, so viel sei an dieser Stelle verraten, als es Madeleine ein weiteres Mal nicht gelingt, bekommt das an sich schon große Dilemma eine zusätzliche Note, eine dritte Frau, spannende, keinesfalls fremdelnde Momente eines Psychothrillers, einen aus der Not heraus geborenen Pakt, eine stumme Ohnmacht und jede Menge Reflexe beim erbitterten Kampf, sich zu holen, was zwei Menschen sich geben wollen.

WIR BEIDE entwickelt nach und nach eine fast mystische Aura mit grandiosen Klangkompositionen und markanter Präzision, die sich im Spiel von Barbara Sukowa und Martine Chevallier manifestiert. Kein Wunder, die Rollen wurden für genau diese zwei starken Aktricen geschrieben.

[ Andreas Körner ]