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Wir sind alle erwachsen

… aber das ist kein Zustand

Für Albert und seine 17jährige Tochter Jeanne beginnen die gemeinsamen Ferien in Schweden mit einer Überraschung: Aufgrund einer Verwechslung bewohnen die Vermieterin Annika und ihre Freundin Christine bereits das gebuchte Häuschen. Während Albert mit dem Scheitern seiner peniblen Urlaubsplanung hadert, ist die neue Situation für Jeanne ein Lichtblick, eine willkommene Chance, der Zweisamkeit mit dem Vater zu entkommen. Ein Arrangement, getroffen zunächst nur für eine Nacht, wird schließlich verlängert, und die Vier, gemeinsam unter einem Dach lebend, sehen sich bald mit unerwarteten Gefühlen und Einsichten konfrontiert.

Das Langfilmdebüt der Französin Anna Novion entführt den Zuschauer in die schwedische Schärenlandschaft, dorthin, wo sich Insel an Insel reiht, wo man das Meer so gern als Spiegel der Seele begreift. Hier verortet sie ihre Geschichte vom Erwachsensein und vom Erwachsenwerden, erzählt mit einem schönen Gespür für leisen Humor von vier Menschen, die an einem Punkt ihres Lebens angelangt sind, wo sie neue Wege einschlagen müssen: Auf die schüchterne Jeanne wartet das erste Liebesabenteuer, und zugleich steht die Abnabelung von dem alleinerziehenden Vater an. Albert selbst, der mit einem rigiden Ordnungssystem und dem Spleen von einem Wikingerschatz gut gerüstet scheint, gerät in eine Krise, von der er bislang nichts wußte. Die kinderlose Christine, für Jeanne das Vorbild einer selbstbewußten Frau, hadert mit ihrer Interpretation von Unabhängigkeit, und für Annika steht die Auseinandersetzung mit Emotionen an, die eine längst vergessen geglaubte Jugendliebe auslöst.

Novion beläßt es bei einer auffallend sparsamen verbalen Kommunikation, die Kontaktaufnahme und Annäherung ihrer Figuren vollzieht sich vielmehr über die gegenseitige Beobachtung. Die Kamera verfolgt diesen Prozeß in langen Einstellungen, und auch wenn sie sich in verschiedenen Räumen aufhalten, zeigt sie die Protagonisten oft im selben Bildausschnitt. Manchmal genügt ein kurzer Schwenk, die Nähe des anderen ins Bild zu setzen. Subtil illustriert findet sich auf diese Weise eine Gemeinschaft auf Zeit, in der persönliche Erkenntnisse durch die nahezu sprachlose Konfrontation mit dem Gegenüber möglich werden.

Jeder der Vier wird am Ende verändert Abschied vom Sommer nehmen, und es scheint, als wolle der Film den Zuschauer behutsam zu einer Einsicht geleiten, die – vielleicht ist sie auch nur in Vergessenheit geraten – befreiend sein kann: Erwachsensein ist kein Zustand.

Originaltitel: LES GRANDES PERSONNES

F/S 2008, 84 min
FSK 0
Verleih: Alamode

Genre: Komödie, Drama, Erwachsenwerden

Darsteller: Jean-Pierre Darroussin, Anaïs Demoustier

Regie: Anna Novion

Kinostart: 07.05.09

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.