2016 war Breslau, polnisch Wroclaw, „Kulturhauptstadt Europas.“ Und es verdankt sich wohl auch diesem Umstand, daß WIR SIND JUDEN AUS BRESLAU überhaupt entstand. Was nicht so ganz selbstverständlich ist, und das, obwohl Dokumentationen zur Geschichte der Schoah, Filme, die die Überlebenden zu Wort kommen lassen, die die Erinnerungen festhalten, inzwischen so zahlreich sind, daß sie schon etwas wie ein eigenes Genre markieren. Dazu gleich noch, daß dessen Einzelbeiträge nicht immer die profunde Qualität eines Claude Lanzmann erreichen (erreichen wollen und können).
Jetzt erst einmal zu diesem Geschichtsprofessor, der im Breslauer Regen stehend einem Grüppchen Bremer Schülern etwas Grundlegendes erklärt: Daß es nämlich in dieser Stadt ein Denkmal für die Toten des Warschauer Ghettos gibt, aber keins für die Breslauer Juden. Was auf „eine Instrumentalisierung des Gedenkens an den Holocaust“ verweise, weil „das Gedenken an die Märtyrer aus Polen das an die Breslauer Juden überdeckt. Man soll sich nicht an sie erinnern, obwohl auch sie im Holocaust umkamen.“ Warum dem so ist, mag eine andere Aussage in diesem Film erklären: Nach Berlin und Frankfurt war in Breslau die drittgrößte jüdische Gemeinde zu finden. Soll heißen: Breslauer Juden waren eben keine polnischen Juden.
Es ist der eigentliche Stachel, der in Karin Kapers und Dirk Szuszies Film sitzt. Der Stachel, der von der Erinnerungsinstrumentalisierung, und das heißt hier ja, von der Instrumentalisierung des Leids im Namen politisch-nationaler Interessen, spricht. Daß die Dokumentation auf diese dann nur einen Seitenblick wirft, mag man ebenso bedauern, wie man es ihr freilich nicht vorwerfen kann, daß sie ihr Hauptaugenmerk eben auf jene Zeitzeugen richtet, um die es ja geht. Auf die Breslauer Jüdinnen und Juden (einer davon der renommierte Historiker Fritz Stern), die hier zu Wort kommen.
Und die einmal mehr die unfaßbaren Geschichten der Schoah erzählen. Und einmal mehr ist das gut und richtig so. Und einmal mehr geschieht das hier zugleich in einer Form, die mit Piano-Akkorden, hübschen Stadtimpressionen oder den Gesichtern betroffen lauschender Jugendlicher immer wieder Bitternis und Grauen in eine Gefühlslage formaler Geschmeidigkeit zu übersetzen sucht. Eine inzwischen etwas allzu selbstverständliche Form, diese Tragödie, dieses ja jeden Maßstab sprengende Menschheitsverbrechen und seine Folgen zu bespiegeln. Und ja: Kinematographisch war man da schon mal weiter.
D 2016, 108 min
FSK 12
Verleih: Karin Kaper Film
Genre: Dokumentation, Historie, Schicksal
Regie: Karin Kaper, Dirk Szuszies
Kinostart: 06.04.17
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.