In Diktaturen blühen die Blumen des Verrats besonders gut. Aschegrau blühen die. Stickig klein machen die Leben und Land. Und wem will man verübeln, daß man dem entkommen möchte. Etwa auf einem Schiff der Handelsmarine. Davon träumen Cornelis und Andreas. Die zwei Freunde arbeiten im Rostocker Hafen, sind also nah dran an der Verwirklichung ihres Traums, könnte man meinen. Doch es sind die 80er Jahre, und Cornelis und Andreas leben somit in einer Zeit, die für Träumer schnell zum Alptraum werden konnte. Die Genossen von der Staatssicherheit machen den Zweien ein Angebot: Vorarbeiter Matze ausspitzeln, vielleicht klappt es ja dann, brauchbare Ergebnisse vorausgesetzt, mit der Handelsmarine. Cornelis wird im letzten Moment vor diesem Pakt zurückweichen, Andreas ihn eingehen. Beide werden teuer bezahlen.
Die Geschichte einer Sehnsucht, erzählt als Melodram einer Freundschaft, die am Verrat wie an einem Krebsgeschwür verreckt. Auch weil Andreas, der verbitterte Spitzel und Denunziant und bald vollends in Stasi-Diensten tätig, mit pathologischer Besessenheit gegen eine Liebe intrigiert, die auf ihn die provozierende Kraft der Reinheit ausstrahlt: Cornelis liebt die Vietnamesin Phuong Mai. Beide wollen aus der DDR fliehen. Sie wird es schaffen, Cornelis nicht. Der weiß oder glaubt nicht, daß Andreas ihn verraten hat. Im Gefängnis wird ausgerechnet der für Cornelis die letzte Hoffnung. Andreas soll den Kontakt in den Westen zu Phuong Mai suchen. Der Beginn einer perfiden Manipulation.
WIR WOLLTEN AUFS MEER will viel. Liebe, Freundschaft, Verrat, Widerstand und das seelische Zugrundegehen an der Anpassung. Das alles packt Toke Constantin Hebbeln in seinen Film. Der wirkt wie getränkt von der Sehnsucht nach der „großen“ Geschichte, nach der erzählerischen Meerfahrt. Das ist einnehmend, auch weil es etwas wagt, was deutsches Kino zu selten wagt. Nur vergißt Hebbeln vor lauter Sehnsucht, daß das Große im Kleinen funktionieren muß, daß vor allem das Detail der Totalen ihre Genauigkeit, also Substanz, gibt.
Daß WIR WOLLTEN AUFS MEER die DDR zu überzeichnet darstellt, ist nicht das Problem. Kino darf das, Realismus ist relativ. Aber beim Dickauftragen ersticken hier zu oft die feinen Striche. Gekleckste Charaktere sind keine. Zu viele Situationen böllern als Räuberpistole. Hebbeln scheitert an den zu aufgepeitschten Wellen seiner Geschichte. Die strandet auf der Sandbank der Unglaubwürdigkeit.
D 2012, 117 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch
Genre: Drama, Historie
Darsteller: Alexander Fehling, August Diehl, Phuong Thao Vu, Rolf Hoppe, Sylvester Groth
Regie: Toke Constantin Hebbeln
Kinostart: 13.09.12
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.