CH/D/F 2018, 106 min
FSK 0
Verleih: Farbfilm
Genre: Dokumentation, Literaturverfilmung
Regie: Georges Gacho
Kinostart: 22.11.18
João Gilberto ist einer dieser scheuen Künstler, die mit ihren Ideen die Welt verzaubern und dann vor der Banalität des Lebens die Flucht ergreifen. Der begnadete Musiker bescherte uns unvergeßliche Songs wie „Girl From Ipanema“, doch entschied sich auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, der Welt den Rücken zu kehren und sein Zimmer nicht mehr zu verlassen. Bis heute wird Gilberto weltweit verehrt, doch nur engste Freunde und Familienmitglieder stehen noch mit ihm in Kontakt.
Der Wunsch zu verschwinden verzaubert viele Menschen. Auch der deutsche Autor Marc Fischer lebte mit dieser großen Sehnsucht. Fischer war Musikjournalist mit Haut und Haar, seine Texte hatten Soul und Groove, und er weigerte sich zeitlebens, Kompromisse zu machen. Der bekennende Bossa-Nova-Fan machte sich im Jahr 2010 auf nach Rio, um sein Idol Gilberto aufzuspüren. Doch auch nach wochenlanger detektivischer Kleinarbeit gelang es ihm nicht, Gilberto zu treffen. Dennoch entstand in dieser Zeit Fischers wunderbares Buch „Hobala – Auf der Suche nach João Gilberto“, das nicht nur das Porträt eines großen Abwesenden ist, sondern vor allem ein wunderbarer Essay über die Sehnsucht selbst. Eine Sehnsucht, die Fischer kurz nach der Fertigstellung seines Textes nicht mehr ertragen konnte. Er nahm sich noch vor der Veröffentlichung des Buches das Leben.
Für WO BIST DU, JOÃO GILBERTO? hat sich nun der Regisseur Georges Gachot aufgemacht und Fischers Suche nach Gilberto nachvollzogen. Wenig überraschend trifft er in einer matrjoschkaesken Performance dieselben Menschen, sitzt in denselben Cafés und verharrt vor denselben Türen. Doch obwohl Gachot Musikexperte und Brasilienkenner ist und – im Gegensatz zu Fischer – sogar Portugiesisch spricht, stellt sich kein auch nur ansatzweise ähnlich intensives Gefühl der Sehnsucht ein, wie Fischer es mit wenigen Zeilen heraufbeschwören konnte. Das mag daran liegen, daß Gachot die Suche nach Gilberto allzu wörtlich nimmt und versucht, uns in künstliche Spannung zu versetzen („Werden wir ihn heute treffen?“), die weder gerechtfertigt noch angebracht ist.
Wie viel schöner wäre es gewesen, nicht die Suche zu fokussieren, sondern das Sehnen selbst (noch) genauer unter die Lupe zu nehmen. Schließlich ist es die Sehnsucht, die offensichtlich sowohl lebenserhaltend als auch lebensgefährlich sein kann.
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.