Durch eine blöde Unachtsamkeit widerfährt dem smarten Autoverkäufer Phillip Tragisches. Wieder mal eines dieser nervigen Streitgespräche mit seiner Freundin am Handy. Eben aufgelegt, das Telefon wieder am Klingeln, ein Blick weg von der Straße, und schon ist es passiert. Phillips Wagen hat irgendwas touchiert, Phillip bremst, sieht in den Rückspiegel und erkennt, daß er einen Jungen auf seinem Fahrrad umgefahren hat. Der Junge bleibt reglos auf der Straße liegen, Phillip gleichsam im Wagen sitzen. Kurzes Zögern, die Hand am Türgriff und dann doch den Fuß aufs Gaspedal. Haut einfach ab.
Die Uhr dreht sich weiter, der Junge erwacht aus dem Koma, Phillip versucht sich abzulenken, auch mit einem Neuanfang seiner Beziehung. Er flieht. Wieder einmal. Raus aus der Verantwortung, in den warmen Süden, weg von Selbstzerwürfnissen, von echten Sorgen, von Zweifeln. Doch die sind stärker als er, und so macht sich Phillip wieder auf ins Krankenhaus, trifft auf Laura, die Mutter des plötzlich verstorbenen Jungen und verliebt sich.
Ein unachtsamer und bequemer Geschichtenerzähler hätte daraus den schaumigen Erguß einer Pilcher-Schmonzette gemacht. Kleine Tragödie, tränentreibende Bekümmerung und schließlich rosa-wattiges Ende. Aber so einer ist Christian Petzold gottlob nicht. Eher neben Hans-Christian Schmid der talentierteste und klügste Erzähler im deutschen Gegenwartskino. Petzold erzählt in kargen Bildern und ruhigem Tempo von bloßer Feigheit, von schierer Angst davor, den letzten Funken Zuversicht in diesem manchmal verkorksten Leben zu verlieren. Diese verzweifelte Kälte ist bei Phillip glücklicherweise nicht so groß, daß sie zur Kaltschnäuzigkeit würde. Er ist gelähmt und dennoch - und das weiß Petzold so brillant und nüchtern zu erzählen - ist er durch diesen Unfall befreit. Er fühlt wieder, er sorgt sich, er ist wieder Teil des Lebens, wenn auch nicht gerade auf der sonnigen Seite. Daß die Annäherung an Laura immer einen höchst bitteren Beigeschmack haben muß, ist dem klassischen Drama geschuldet: die unmögliche Liebe zwischen dem Mörder und der Mutter eines Kindes.
Diese Zerrissenheit zwischen Hoffnung, trügerischer Illusion und zittriger Angst vor Einsamkeit hat Petzold beeindruckend verfilmt und mit Benno Fürmann und Nina Hoss überraschende Darsteller gefunden, die ähnlich ihren Figuren bisher festgesteckte Grenzen überwinden.
D 2002, 93 min
Verleih: Peripher
Genre: Drama
Darsteller: Benno Fürmann, Nina Hoss, Antje Westermann
Regie: Christian Petzold
Kinostart: 11.12.03
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.